Forscher des Universitätsklinikums Freiburg haben möglicherweise einen wichtigen Mechanismus für mangelnde Aufmerksamkeit, hohe Ablenkbarkeit und Hyperaktivität gefunden. Für das sogenannte Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Syndrom (ADHS) könnte von Bedeutung sein, dass Nervenzellen verstärkt reizunabhängig aktiv sind, was als Hintergrundrauschen bezeichnet wird.
Bei den Testpersonen mit ADHS war das Rauschen verstärkt. Damit steht eventuell erstmals ein Test zur Verfügung, mit dem ADHS im Gehirn diagnostiziert werden kann. Bislang wird die Erkrankung anhand der Krankengeschichte und psychologischer Tests festgestellt. Die Studie wurde in der Fachzeitschrift "PLoS ONE" veröffentlicht.
Unbekannte Ursachen
ADHS ist eine der häufigsten psychiatrischen Störungen, an der etwa zehn Prozent aller Kinder leiden. Viele davon begleitet die Erkrankung ihr Leben lang – rund vier bis zehn Prozent der Erwachsenen sind betroffen. Die neuronalen Grundlagen der Krankheit waren bislang unbekannt. "Wir fanden klare Hinweise, dass die mangelnde Aufmerksamkeit bei ADHS mit verstärktem Hintergrundrauschen in der Netzhaut einhergeht", sagt Psychiater Ludger Tebartz van Elst von der Uni Freiburg.
Für ihre Studie untersuchten die Forscher je 20 erwachsene Probanden mit und ohne ADHS mit einem Schachbrett-Muster-Elektroretinogramm (ERG). Die Probanden sehen auf einem Bildschirm ein Schachbrettmuster, bei dem sich die hellen und dunklen Bereiche schnell vertauschen. Dabei wird die Aktivität der Ganglienzellen in der Netzhaut gemessen. Dieser Test wird heute bereits in vielen Augenkliniken eingesetzt, etwa zur Diagnose des Grünen Stars.
Neuronales Hintergrundrauschen
Eine reizunabhängige Aktivität, auch neuronales Hintergrundrauschen genannt, wurde bei ADHS schon lange vermutet, ist bislang aber nie belegt worden. "Die Ergebnisse stützen unsere Annahme, dass das Hintergrundrauschen der pathophysiologische Mechanismus ist, der dem ADHS zugrunde liegt", sagt van Elst.
Ein weiteres Indiz dafür ist, dass das Hintergrundrauschen bei Dopaminmangel in den Gehirnzellen verstärkt ist – ebenfalls ein Befund bei ADHS. Sollte sich bestätigen, dass diese Aktivitätsveränderungen für ADHS spezifisch sind, könnten die Erkenntnisse auch für die Diagnostik und Beurteilung des Therapieerfolgs von Bedeutung sein.
Objektive Messbarkeit denkbar
"Es wäre das erste Mal für ADHS und einer der wenigen Fälle bei psychiatrischen Erkrankungen überhaupt, wo durch ein physiologisches Signal eine Erkrankung objektiv gemessen werden könnte", sagt Emanuel Bubl, Erstautor der Studie: "Unsere Hoffnung ist, dass wir damit in Zukunft den Therapieerfolg, zum Beispiel von bereits jetzt häufig eingesetzten Arzneimitteln wie Methylphenidat oder von Psychotherapien, direkt messen können."
Bislang wurden die Diagnose und das therapeutische Ansprechen in Gesprächen und psychologischen Tests ermittelt. Aus Tierstudien gibt es bereits Hinweise, dass Medikamente wie Methylphenidat ihre Wirkung entfalten, indem sie das Hintergrundrauschen reduzieren. Erste Folgeuntersuchungen der Freiburger Wissenschafter deuten nun ebenfalls darauf hin, dass das neuronale Hintergrundrauschen bei ADHS-Patienten unter Therapie reduziert wird. (red, derStandard.at, 10.4.2015)