Die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) hängen am Tropf des Steuerzahlers. Die Erlöse, die sie direkt von ihren Nutzern (Bahnreisenden und Verladern) erzielen, sind lächerlich gering. Die Politik beschließt, dass der gesamte Aufwand für die Bahn überwiegend vom Steuerzahler gedeckt wird. Es ist für die ÖBB also eine Überlebensfrage, Zahlen zu präsentieren, mit denen ihr die Gunst der Verkehrs und Finanzpolitiker nicht verlorengeht.

Zugleich ist die Lobby der Tunnelbauer aktiv, sie möchte Aufträge für neue Bahnstrecken. Es ist für die ÖBB und die Tunnelbau-Lobby reizvoll, den volkswirtschaftlichen Nutzen von Neubauten überzogen darzustellen.

Franz Fally (ein Gegner des Semmering-Basistunnels, Anm.) hat viele Jahrzehnte als Unternehmer seine Waren mit der Eisenbahn transportieren lassen. Als erfahrender Eisenbahnkunde ist er zum Kritiker österreichischer Bahnpolitik geworden - insbesondere der seltsamen Investitionen in Neubaustrecken mit vielen teuren Tunneln.

Beim Semmering-Basistunnel hat es ihm gereicht. Er unterstützt die Klage gegen das Projekt. Mehr noch: Er hat das Münchener Verkehrsberatungsbüro Vieregg & Rössler mit einem Gutachten beauftragt, die offizielle Nutzen-Kosten-Untersuchung nachzuvollziehen, die den Semmering-Basistunnel als höchst wirtschaftliche Investition ausweist. Das Ergebnis schafft beispielhaft Klarheit, wie die Methode von Nutzen-Kosten-Untersuchungen in Österreich verbogen wird und wundersame Ergebnisse erbringt.

Glaubt man den ÖBB, so ist der volkswirtschaftliche Nutzen fünfmal größer als die Kosten. Glaubt man dem renommierten Gutachter Vieregg & Rössler, so sollte man die Finger von dem Projekt lassen, weil der volkswirtschaftliche Nutzen geringer als die Kosten ist. Woher kommt der Unterschied?

Österreichs Ermittlung des Nutzens geht davon aus, dass das Bauen an sich langfristige Konjunktureffekte erzeugt, die in der Bauphase und auch über die Jahrzehnte lange Nutzungszeit hinweg anhalten. Diese Effekte allein sind bereits 1,4-mal so groß wie die Kosten. Nach dieser Rechnung könnte Österreich einen Tunnel bohren und dann sofort wieder zuschütten und hätte bereits einen Ergebnisquotienten von zirka 1,4 Nutzen/Kosten. Und wenn die geplanten Kosten später überschritten werden, steigt der volkswirtschaftliche Nutzen in gleichem Maß um den Faktor 1,4. Schlendrian erzeugt also volkswirtschaftlichen Nutzen!

Noch größeren Nutzen konstruiert die österreichische Methode aus einer abenteuerlich anmutenden Steigerung der Standortqualität durch die Neubaustrecken. Da aber weitgehend nur Wirtschaftstätigkeit aus anderen Regionen der Republik abgesaugt wird, handelt es sich hier weitgehend um ein Nullsummenspiel.

Die EU lehnt es ausdrücklich ab, solche Nutzen aus Konjunkturbelebung und Standortverbesserung zu konstruieren. Brüssel hält diese Effekte in einer entwickelten Volkswirtschaft für vernachlässigbar. Auch in der deutschen Bewertungsmethode spielen diese Effekte nur eine sehr geringe Rolle. Die Hoffnung Österreichs, für ihre Neubaustrecken Geld aus EU-Töpfen zu bekommen, fußt darauf, dass die EU-Kommission die vorgelegten Berechnungen nicht liest.

Die Wissenschaft könnte sich hier erhellend zu Wort melden. Es ist leider nicht nur in Österreich so, dass sie oft schweigt, offenbar in der Angst, Forschungsaufträge könnten in Zukunft ausbleiben. Doch hat zum Beispiel das Österreichische Institut für Wirtschaftsforschung (Wifo) zuletzt im Jahr 2007 - ganz generell - den Sinn von Mehraufwendungen für Infrastruktur untersucht. Ergebnis: "Langfristig weisen die Berechnungen des Wifo auf die aus konjunktureller und beschäftigungspolitischer Sicht fast völlige Nutzlosigkeit von Infrastrukturinvestitionen hin. Damit wird bestätigt, dass Infrastrukturinvestitionen nur unter den Kriterien der betrieblichen Wirtschaftlichkeit und der Engpassvermeidung sinnvoll sind." Der Semmering-Basistunnel beseitigt auf Jahrzehnte hinaus keinen Engpass. Der betriebswirtschaftliche Nutzen des Tunnels ist lächerlich gering. Dies geht sogar aus der Rechnung der ÖBB hervor.

Man sollte sich darum sorgen, dass ÖBB und Tunnelbauer eine Beutegemeinschaft bilden, die den Steuerzahler schröpft und ihm riskante Zukunftslasten aufbürdet.

Wenn ein Gericht oder der Steuerzahler das glaubwürdig überprüfen wollen, können sie sich nur dort Rat holen, wo die Beutegemeinschaft keinen Einfluss auf das Ergebnis nehmen kann. Franz Fally hat klug gehandelt. Er hat sich Rat außerhalb der Reichweite der Beutegemeinschaft geholt. (Gottfried Ilgmann, DER STANDARD, 10.4.2015)