Sie nennen sich nicht mehr "Vater" und "Tochter". "Ich habe die Eröffnung eines Disziplinarverfahrens beschlossen: Jean-Marie Le Pen wird vor den Exekutivausschuss berufen", kündigte Marine Le Pen am Donnerstagabend im TV-Sender TF1 mit gravitätischem Ton an. Und weiter: "Jean-Marie Le Pen sollte seine Weisheit unter Beweis stellen und seine politischen und öffentlichen Aktivitäten aufgeben."

Der Vater konterte am Freitag: Er werde sich vor dem Ausschuss "verteidigen, aber auch angreifen", denn: "Frau Le Pen sprengt ihre eigene Bewegung in die Luft."

Nachdem er vergangene Woche bekräftigt hatte, die Gaskammern des Zweiten Weltkriegs seien bloß ein "Detail" der Geschichte, will ihn seine Tochter bei den Regionalwahlen Ende des Jahres an einer Kandidatur hindern. Das soll der - freilich von Marine Le Pen kontrollierte - Parteivorstand nächste Woche beschließen.

Die in Paris in diesen Tagen vielfach gehörte These vom Vatermord trifft indes nur teilweise zu: Le Pen senior sucht den Clash selbst. Die um Salonfähigkeit bemühte FN-Chefin störte sich bisher nie an der faktischen Arbeitsteilung mit ihrem Vater, der laut sagt, was andere Parteimitglieder insgeheim denken. Doch jetzt war er sogar für Fans zu weit gegangen. Warum? Offensichtlich missgönnt der Vater der - von ihm selbst 2011 inthronisierten - Parteichefin einmal mehr einen Erfolg; den bei den Departementswahlen.

Der Figaro-Journalist Guillaume Perrault erklärt den neuesten Ausfall des FN-Gründers mit dessen Angst vor dem Tod. "Mit 86 Jahren noch zu schockieren, das bedeutet für ihn jung und lebendig zu bleiben", meinte der intime Kenner der Le-Pen-Familie, laut dem der greise Ehrenpräsident des FN den Korridor zu seinem Privatbüro mit den Schlagzeilen seiner ärgsten Skandale geschmückt hat.

Jetzt fühlt sich der Patriarch nicht nur von seiner eigenen Partei verstoßen, sondern von seiner Tochter um sein Lebenswerk gebracht. "Ich weiß nicht, warum, aber offenbar sucht sie die Sympathie und Nachsicht des Systems", meinte der greise Le Pen, der trotz mehrerer Präsidentschaftskandidaturen behauptet, er habe nie in das "System" gewollt. Seiner Tochter unterstellt er, sie habe sich nur aus politischer Korrektheit von seinem Gaskammer-Sager distanziert. Im Unterschied zu ihm bezeichnet sie die Todeslager der Nazis als "Gipfel der Barbarei".

Wie sich am Freitag zeigte, hatte Le Pen senior die Stimmung in der eigenen Partei falsch eingesschätzt: Die meisten FN-Sympathisanten wollen an die Macht - und das heißt: in das "System". Sogar in Südfrankreich schütteln seine treuesten Anhänger, die Algerien-Nostalgiker - nur noch den Kopf.

In Fréjus an der Côte d'Azur, wo der Front National vor einem Jahr das Rathaus erobert hat, meinte eine Pensionistin, Le Pen habe so etwas "nur aus Kalkül oder Senilität" sagen können. Und der den Le Pens ergebene Jungfrontist Hervé de Lépinau beteuerte, er habe genug von diesen "Geschichten aus dem Zweiten Weltkrieg".

Verheerendes Bild

Solche Aussagen bedeuten aber nicht, dass im xenophoben Front National plötzlich der Humanismus ausgebrochen wäre. Seine Mitglieder merken aber auch, dass die Partei mit dem Familienstreit ein ähnlich verheerendes Bild abgibt wie die konservative UMP oder die Sozialisten mit ihren Hahnen- und Flügelkämpfen.

Am Freitag enthüllte Le Monde, dass die Justiz gegen einen Le-Pen-Vertrauten ein Strafverfahren eröffnet hat. Er soll mit überhöhten Rechnungen und Scheinjobs öffentliche Gelder eingestrichen haben. Das wäre der gleiche Tatbestand, der vor zehn Jahren zur Verurteilung von Ex-Premier Alain Juppé führte. Die Le Pens hatten damals zu den lautesten Kritikern der Chirac-Partei gehört. (Stefan Brändle aus Paris, DER STANDARD, 11.4.2015)