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Şafak Pavey, hier bei einer Preisverleihung des US-Außenministeriums zwischen Michelle Obama und Hillary Clinton, wird für die CHP auf einem der vorderen Listenplätze antreten.

Foto: Reuters/Cameron

In zwei Monaten ist wieder Wahlsonntag in der Türkei, am 7. Juni wird festgelegt, wie die Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) und ihr mäßig harmonisches Tandem Erdogan/Davutoglu im zweiten Jahrzehnt an der Macht weiterregieren. Doch vor der Wahl ist auch noch Wahl. Zumindest bei einigen: Die Republikanische Volkspartei (CHP), die größte Oppositionspartei, hat erstmals den Großteil ihrer Kandidaten durch die Parteibasis in einer Vorwahl bestimmt. Knapp zwei Drittel ihrer 550 Parlamentskandidaten wurden so festgelegt, der Rest durch die Parteiführung mit sogenannten Kontingenten (kontenjan) in den Großstädten für die Plätze 1, 3, 5, 7 und 9. Rund 760.000 Parteimitglieder sollen sich an den Vorwahlen beteiligt haben. Für die türkische Politik ist das ein enormer Fortschritt. Kandidatenlisten sind bisher das ultimative Zucht- und Machtmittel des Parteichefs gewesen.

Frauen in Großstädten vorne

Der CHP-Vorsitzende Kemal Kiliçdaroglu präsentierte am Dienstag die Liste, mit der die Sozialdemokraten in die Parlamentswahl ziehen. Kiliçdaroglu selbst hatte sich Ende März im zweiten Wahlkreis in Izmir einer Vorwahl gestellt, einer der letzten Hochburgen der Kemalisten, und 85 Prozent der Stimmen bekommen; sein im Hintergrund weiter operierender Vorgänger Deniz Baykal landete in Antalya nur auf dem zweiten Platz, Baykals Großwesir und seinerzeitiger Generalsekretär Önder Sav scheiterte gar bei der Kandidatenwahl.

Den ersten Listenplatz in den Großstädten reservierte Parteichef Kiliçdaroglu für Frauen: Şafak Pavey, eine der stellvertretenden Parteivorsitzenden, die Anwältin Selina Özuzun Dogan, eine Vertreterin der armenischen Minderheit, und die ehemalige CHP-Generalsekretärin Bihlun Tamayligil führen die Listen in den drei Istanbuler Wahlkreisen an; in Ankara stehen Gülsün Bilgehan, Urenkelin des früheren Regierungs- und Staatschefs Ismet Inönü, und die Bürgerrechtlerin Şenal Sarihan an der Spitze, nachdem sich gegen Kiliçdaroglus Wunschkandidatin Ayşe Sucu, die Kopftuch tragende Journalistin und 2010 gefeuerte Abteilungsleiterin im staatlichen Amt für religiöse Angelegenheiten (Diyanet), zu viel Widerstand geregt hatte; in Izmir sind es die Verlegerin und Kommunikationsberaterin Zeynep Altiok Akatli (ihr Vater, der Dichter Metin Altiok, starb bei dem Brandanschlag auf alevitische Künstler in Madimak 1993) und die Ökonomin Selin Sayek Böke.

30 Prozent in weiter Ferne

Recht viel nutzen dürfte den türkischen Sozialdemokraten die basisdemokratische Übung mit der Vorwahl am Ende doch nicht. Kiliçdaroglu eröffnet den Wahlkampf der CHP mit einem Auftritt im Istanbuler Stadtteil Kartal am Samstag. Umfragen geben seiner Partei meist 25 bis 27 Prozent, also in etwa das Ergebnis vom Juni 2011 (25,98 Prozent). Die 30 Prozent, von denen die CHP träumt, scheinen in weiter Ferne. Das Interesse richtet sich bei dieser Wahl auf das Abschneiden der regierenden konservativ-islamischen AKP und der Kurden- und Linkspartei HDP. Letztere könnte Erdogans/Davutoglus AKP um jene Drei-Fünftel-Mehrheit im Parlament bringen (330 Abgeordnete), die nötig wäre, damit die Partei im Alleingang ein Referendum über eine Erdogan-Verfassung erzwingen könnte. (Markus Bernath, derStandard.at, 8.4.2015)