Im STANDARD vom 2. April wurde berichtet, dass acht Jahre nach der Etablierung des Facharztes für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Wien die ersten Kassenordinationen eröffnet wurden, wobei der Bedarf das Angebot erheblich zu übersteigen scheint. Bisher haben die Eltern in Wien eine fachärztliche kinder- und jugendpsychiatrische Behandlung überwiegend privat gezahlt.

Aktuelle Ergebnisse einer Studie des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Health Technology Assessment, die in Kooperation mit der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Christian-Doppler-Klinik Salzburg durchgeführt wurde, zeigen, dass die Situation in anderen Bundesländern nicht besser ist.

Von rund 440 Kindern und Jugendlichen, die zwischen 2011 und 2014 stationär an der Klinik behandelt wurden, bezogen 60 Prozent ein halbes Jahr vor dem Klinikaufenthalt eine Leistung, für die private (Zu-)Zahlungen anfielen. Im Extremfall betrugen die privaten Kosten pro Kind bis zu 4000 Euro. Die Daten zeigen zudem, dass 80 Prozent der privaten Mittel für Leistungen im Gesundheitsbereich ausgegeben wurden, und zwar hauptsächlich für diverse Leistungen im niedergelassenen Bereich. An vorderster Stelle standen Ausgaben für Psychotherapie und fachärztliche kinder- und jugendpsychiatrische Behandlung, gefolgt von Kosten für Angebote von diversen Gesundheitsprofessionen (insbesondere Leistungen von Psychologen). Außerhalb des Gesundheitssystems entfielen die privaten Kosten fast gänzlich auf schulische Unterstützung, die aufgrund der psychischen Probleme nötig war.

Vor dem Hintergrund, dass die betroffenen Eltern (primär Mütter) zu 40 Prozent alleinige Obsorge innehatten, dass zudem 60 Prozent der Eltern lediglich über einen Pflichtschulabschluss verfügen und einen niedrigen Sozialstatus aufweisen, und aufgrund der Tatsache, dass die privaten Ausgaben umso höher waren, je höher der soziale Status der Eltern war, ist davon auszugehen, dass sich viele Eltern die privaten Angebote erst gar nicht leisten können. In einem solidarischen Gesundheitssystem ist so eine Situation nicht vertretbar. Sie verhindert nicht nur eine adäquate Hilfe für betroffene Kinder und Jugendliche, sondern verursacht später auch hohe soziale Kosten.

Die Gesundheitspolitik sollte sich ernsthaft damit auseinandersetzen, ob das viele Geld, das für teure Hightech-Medizin mit oft zweifelhaftem Nutzen ausgegeben wird, in der adäquaten Versorgung von Kindern und Jugendlichen nicht besser eingesetzt wäre.(Leonhard Thun-Hohenstein, Ingrid Zechmeister-Koss, DER STANDARD, 8.4.2015)