Mit dem Babyflascherl ist es nicht getan, der Vater fühlt sich auch sonst immer mehr als ganze Frau: Romain Duris ist in François Ozons "Eine neue Freundin" als Transsexueller zu erleben.

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Der französische Filmregisseur François Ozon.

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Wien - Die Überraschung kommt in François Ozons Eine neue Freundin (Une nouvelle amie) wie ein kalkulierter Schock daher. Claire (Anaïs Demoustier) entdeckt durch Zufall, dass der Ehemann ihrer unlängst verstorbenen Freundin heimlich deren Strümpfe und Kleider überstreift. Doch aus der heiklen Ausgangssituation entwirft der Franzose, der seine Filme schon oft rund um ungewöhnliche soziale und sexuelle Verhaltensweisen gebaut hat, die schrille Komödie einer wechselseitigen Neubestimmung. Aus David wird immer öfter Victoria (Romain Duris), und auch Claire muss ihre Rolle als Frau künftig anders definieren. Eine neue Freundin legt dabei auch als Film allerlei stilistische Bandagen auf.

STANDARD: Worin liegt der Unterschied zwischen einem Mann, der eine Frau spielt, und einer Frau, die eine Frau spielt?

Ozon: Für mich gibt es da keinen Unterschied. Ich habe Romain als Schauspielerin verstanden und mich auch so zu ihm verhalten. Ich glaube, die größten Schauspieler sind solche, die ihre weibliche Seite akzeptiert haben.

STANDARD: An wen denken Sie da?

Ozon: Gérard Depardieu beispielsweise. Er hat das erkannt. Er ist sehr feminin. Jetzt ist er freilich eine etwas festere Frau geworden.

STANDARD: Worin liegt seine Weiblichkeit genau?

Ozon: In seiner Stimme. Ich war ganz irritiert, als ich einmal seine deutsche Synchronstimme in Potiche (Das Schmuckstück) hörte, weil sie so männlich war. Seine französische Stimme ist femininer, sie war es noch mehr, als er jünger war. Sie ist sehr schön und leicht.

STANDARD: Bei Duris gibt es Gesten und Haltungen, die das Weibliche verstärken - wie weit geht man, ohne dass es zur Parodie wird?

Ozon: Das ist natürlich eine Gratwanderung. Wir haben viele Tests vor dem Dreh gemacht, mit Kostümen und Make-up, um herauszufinden, wie stark wir diese Gesten betonen wollen. Es ging auch darum zu wissen, wann er sich nicht mehr wohlfühlte. Es war ein Spiel, ein ziemlich witziges. Es ging um die richtige Balance der Effekte. Natürlich ist er nicht die schönste Frau der Welt. Aber er ist perfekt für den Part, weil er diese gewisse Sensibilität dafür hat.

STANDARD: Das gilt wohl auch für den Film, oder? Man gewinnt den Eindruck, er wechselt Stil und Tonfall synchron mit den Figuren.

Ozon: Der Stil richtet sich nach den Figuren, es ist ein Transgender-Film! Er spielt mit unterschiedlichen Genres und Stilen. Er hält auch nach seinem Ich Ausschau. Am Anfang ist er wie ein Melodram, dann entwickelt er sich zur Komödie. Die Figuren haben viel Vergnügen aneinander. Sie teilen etwas Starkes, sie haben Spaß. Und sie stellen sich vergleichbare Fragen: Was sind meine Begierden? Wie werden die Menschen darauf reagieren? Fühlen wir uns geliebt? Was ist Freundschaft, wie ist meine Sexualität? Es gibt zwar ein gewisses Risiko, was die Mise en Scène anbelangt, wenn man die Genres stark variiert. Doch das ist etwas, was ich generell sehr gerne mache. Diesmal lag es sozusagen auf der Hand.

STANDARD: Der Anfang des Films ist besonders grell. Es sieht aus wie eine Hochzeit, entpuppt sicher aber als Begräbnis. Die Szene hat eine Sensibilität wie aus einem Brian-de-Palma-Film.

Ozon: Mir war vom ersten Shot an wichtig, klarzumachen, dass man etwas anderes sieht als das, was man erwartet. Es gibt den Schein, und es gibt die Realität. Ich wollte das Publikum mit dieser Szene gleich in die Stimmung des Films hineinversetzen.

STANDARD: Es gibt wenige Filme, die Transsexualität ernsthaft behandeln, etwa Fassbinders "In einem Jahr mit 13 Monden". Ihr Film ist zwar mehr Komödie, aber Sie nehmen das Begehren durchaus ernst.

Ozon: Es gibt eigentlich nur zwei Sorten von Crossdressing-Filmen. Jene amerikanische Variante, wo das Crossdressing zu einer von außen auferlegten Option wird: ein Schauspieler, der keinen Job bekommt und deshalb zu einer Schauspielerin wird, wie in Tootsie. Oder Billy Wilders Some Like It Hot: Die Männer werden verfolgt und schlüpfen deshalb in die Frauenrollen. Und dann gibt es die dramatischeren Filme, die das Thema sehr ernst nehmen wie der von Ihnen erwähnte Fassbinder-Film oder Xavier Dolans Laurence Anyways. Diese Filme sind eher für Leute, die mit dieser Art Themen vertraut sind, davor keine Berührungsängste haben. Ich hatte einen kommerziellen Film im Sinn. Ich will Leute berühren, die die Situation von Transgender-Menschen nicht kennen. Deshalb wollte ich Gelegenheiten bieten, in die Geschichte hineinzufinden, sich zu identifizieren.

STANDARD: Auffallend ist, dass Sie ein eher bourgeoises Milieu wählen, keine Subkultur. Warum war das wichtig?

Ozon: Weil ich vor den ökonomischen Problemen fliehen wollte. Es sollte mehr um Identitätsfindung gehen. Hätte ich die soziale und wirtschaftliche Situation eingebunden, wäre es allzu komplex geworden. Ich habe aber ganz auf diese sexuellen und beziehungstechnischen Fragen hingezielt. Das Gute an der Bourgeoisie ist, dass sie immer eine äußere Erscheinung bleibt. Es ist immer etwas dahinter versteckt.

STANDARD: Deshalb kann man besser mit den Oberflächen spielen?

Ozon: Ganz genau. Hinter dem schönen Paar und dem schönen Haus versteckt sich etwas anderes. Dieses Geheimnis interessiert mich eigentlich immer.

STANDARD: Es gibt auch so etwas wie ein unterschwelliges nekrophiles Begehren in Ihrem Film. Was hat es damit auf sich?

Ozon: Jede Liebesgeschichte ist ein wenig nekrophil. Wenn man sich in jemanden verliebt, gibt es immer schon eine frühere Geschichte. Man wiederholt oft dieselben Manöver, sucht nach etwas, was man vielleicht schon in seiner Mutter oder in seinem Vater und in den Geschwistern gesehen hat. Oder in jemandem, der tot ist. Ich mag diese Idee, dass es innerhalb des Begehrens ein Prinzip der Wiederholung gibt. Daher muss ich auch diese nekrophile Seite der Liebe akzeptieren. Wie in Hitchcocks Vertigo versucht auch hier jemand, eine alte Liebesgeschichte mit einem neuen Körper zu beginnen. Das hat viel mit dem Kino zu tun: Wenn man einen Film dreht, eine Figur erschafft, dann ist es auch oft so, als würde man etwas Totes wieder zum Leben erwecken. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD, 8.4.2015)