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Nicht zu viel und nicht zu wenig - geht es um Sonneneinstrahlung und den menschlichen Körper, ist das richtige Maß entscheidend.

Foto: Jorge Saenz/AP/dapd

Groningen - Noch ruht das Laub in den Knospen von Bäumen und Büschen, doch mancherorts ragt durch den Waldboden schon frisches Grün empor. Auch die Fauna erwacht. In sonnigen Lagen sind die ersten Bienen unterwegs. Viele Vögel indes haben bereits vor Wochen angefangen, wieder zu singen. - Zahlreiche dieser Aktivitäten werden vom Licht gesteuert, direkt oder indirekt. Tageslänge und Sonneneinstrahlung spielen dabei eine zentrale Rolle.

Auch der Homo sapiens reagiert darauf. Man kennt das herrliche Gefühl, die Frühlingssonne auf dem Gesicht zu spüren. Wenn im Winter hingegen die Dunkelheit schon am Nachmittag hereinbricht und die Wolkendecke nicht aufreißt, verspüren viele Menschen eine andauernde Müdigkeit, oft begleitet von Stimmungstiefs bis hin zu Depressionen.

Mediziner wissen um dieses Problem. Die Betroffenen leiden unter einer saisonal-affektiven Störung, englisch abgekürzt SAD. Schätzungen zufolge tritt das Phänomen in Österreich bei fünf Prozent der Bevölkerung auf. Je weiter man in Europa nach Norden blickt, desto höher wird diese Zahl, eine logische Folge der dort noch kürzeren Wintertage.

SAD ist allerdings in vielen Fällen gut zu behandeln, und zwar ohne Medikamente. Stattdessen setzen Psychiater zunehmend auf die sogenannte Lichttherapie. Die Patienten werden dabei mit weißem Kunstlicht in einer Stärke von 10.000 Lux bestrahlt. "Das ist vergleichbar mit dem, was man sieht, wenn man morgens in die Sonne schaut", sagt Stefan Knapen vom Medizinischen Zentrum der Universität Groningen (UMC).

Der Nachwuchswissenschafter ist Mitglied einer Forschergruppe, die sich bereits seit über 20 Jahren mit dieser Thematik befasst. Inzwischen gehört die Lichttherapie zur gängigen Praxis - in den Niederlanden wie auch in anderen Staaten. "Wir haben einen Bestand von etwa 200 Patienten jährlich", sagt Knapen. "Ein Großteil davon kehrt jedes Jahr zurück."

Effektive Lichttherapie

Die Wirkung der Lichttherapie tritt erstaunlich schnell und effektiv ein, auch wenn sie meist nur einen Winter lang anhält. Für die Standardprozedur schickt das UMC seinen Patienten zunächst ab Anfang September einmal wöchentlich einen Fragebogen bezüglich der Stimmungslage via Internet nach Hause.

Die Betreuten beantworten diesen, die Bewertung erfolgt nach einem Punktesystem. Sobald das Ergebnis einen bestimmten Schwellenwert überschreitet, wird der Betroffene zur Behandlung in die Ambulanz eingeladen. Eine Woche lang kommen sie jeden Werktag um acht Uhr zur Klinik und setzen sich 45 Minuten lang vor die Leuchte. Manche frühstücken dabei, andere machen ihr Make-up oder lesen, erzählt Knapen. Den Patienten gehe es nach der Therapie viel besser. "Im Allgemeinen sind sie dann für den Rest der Saison genesen." Eine Studie hat zudem gezeigt, dass eine Behandlungsdauer von zwei Wochen keine besseren Resultate erbringt als die einwöchige Variante (siehe "Journal of Affective Disorders", Bd. 166, S. 343).

So weit die Praxis, die Theorie ist weitaus schwieriger. Wie sich die Helligkeitsbäder genau auf die menschliche Physiologie auswirken, konnte noch nicht umfassend geklärt werden. Möglicherweise kommt es auf die Beeinflussung des Biorhythmus an.

"Licht ist ein Zeitgeber", sagt Knapen. Es dient als Startsignal für diverse Steuerungsprozesse. Lange Zeit habe man geglaubt, bei SAD-Patienten gehe lediglich die biologische Uhr nach, und diese Verzögerung ließe sich mittels gezielter Beleuchtung in den Morgenstunden korrigieren. Den Botenstoffen Serotonin und Melatonin kämen hierbei Schlüsselfunktionen zu. Melatonin gilt unter anderem als Schlafhormon und wird vor allem nachts freigesetzt. Serotonin dagegen wirkt aktivierend, stimmungsaufhellend. Ein gestörter Biorhythmus und SAD könnten mit Serotoninmangel in Verbindung stehen. Doch die Realität ist offenbar noch komplexer.

Anfang des Jahrtausends entdeckten Wissenschafter die sogenannten ipRGC, spezialisierte Nervenzellen in der Netzhaut des Auges. Sie verfügen über das lichtempfindliche Pigment Melanopsin, welches nicht in den benachbarten Stäbchen und Zäpfchen vorkommt. Die ipRGC sind mit dem Suprachiasmatischen Nukleus verbunden. In diesem Teil des Gehirns sitzt nach bisherigen Erkenntnissen die zentrale Steuerung der biologischen Uhr. Aber das ist nicht alles. Neuere Studien haben auch direkte Kontakte zwischen den ipRGC und weiteren Hirnregionen wie der Amygdala aufgezeigt - solche, die unter anderem mit Stimmungsveränderungen in Zusammenhang gebracht werden. Das heißt: Licht beeinflusst das Wohlbefinden anscheinend nicht nur indirekt über den Suprachiasmatischen Nukleus und damit über den Biorhythmus, sondern auch direkt im Gehirn. In beiden Varianten stellen die ipRGC die zentralen Schalter dar.

Erfolge auch bei Burnout

Der Forschung sind inzwischen fünf verschiedene Typen von ipRGC bekannt. Alle haben vermutlich unterschiedliche Subfunktionen, doch allen gemeinsam ist der Besitz von Melanopsin. Das Pigment hat seine höchste Empfindlichkeit gegenüber Licht mit einer Wellenlänge von 480 Nanometer. Das entspricht der Farbe Blau. Eine vergleichende Untersuchung der Groninger Arbeitsgruppe zeigte, dass schwaches, blau angereichertes Licht mit einer Intensität von 750 Lux dieselbe Effektivität in der Behandlung von SAD-Patienten zeigt wie die übliche 10.000-Lux-Beleuchtung.

Lichttherapie entfaltet ihre Wirkung allerdings nicht nur gegen saisonal-affektive Störungen. Ersten Pilotstudien zufolge profitieren auch Betroffene des Burnoutsyndroms davon. Auch an der Uni Graz wurde diesbezüglich ein Forschungsprojekt gestartet. Es dürften wohl noch Jahre vergehen, bis sämtliche durch Licht beeinflusste Schaltkreise aufgedeckt sind. (Kurt de Swaaf, DER STANDARD, 8.4.2015)