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Bei der Eröffnung der Ausstellung "Niemals Vergessen" im Künstlerhaus 1946 posierte Renner als Bundespräsident (oben) zwar unter einem Porträt des "hochverehrten Genossen". Doch man misstraute einander bereits gründlich.

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"Unfraglich" sei es, dass die Zukunft Österreichs "dem Sozialismus gehört", schrieb Renner 1945 an Stalin.

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Devoter geht es kaum: "Hochverehrter Herr Generalissimus der Roten Armee!" "Werter Genosse!" So beginnen einige der Briefe und chiffrierten Telegramme, die der Sozialdemokrat Karl Renner über die Sowjetkommandantur 1945, teils noch während des Krieges, teils unmittelbar danach, nach Moskau schicken oder kabeln lässt.

Der erste Staatskanzler und spätere erste Bundespräsident der Zweiten Republik ist wahrlich ein Meister der wohlgesetzten Worte - im Doppelsinn: Seine Briefe sollten Josef Stalin einerseits vor Augen führen, wie dringend das "arme", vom Krieg gebeutelte Österreich materieller Hilfe bedürfe, und den Mythos vom "ersten Opfer" Hitlerdeutschlands festigen. Zudem sollten sie Stalin darin bestärken, die provisorische Staatsregierung unter Renner zu unterstützen. Bei den Alliierten war das beileibe nicht unumstritten, die Westmächte verfolgten zunächst andere Pläne.

Renner, der sich bereits Anfang April bei der Roten Armee gemeldet und als Chef einer provisorischen Staatsregierung angeboten hatte, gelang es, sich selbst gegenüber Stalin als wahren "Sozialisten" darzustellen. "Dass er darunter etwas ganz anderes verstand als Stalin, ließ er bewusst offen", sagt der Historiker Stefan Karner, der im Gespräch mit dem STANDARD eine gewisse Hochachtung vor Renners kühl kalkulierter, "frappierender Doppelzüngigkeit" (siehe Interview) nicht verhehlt. Karner, der den wissenschaftlichen Beirat für ein Haus der Geschichte in Niederösterreich leitet, hat die Originalbriefe und -telegramme aus russischen Archiven bekommen und analysiert und besagte Doppelzüngigkeit darin entdeckt.

Vermeintlich devotes Österreich

In einem Schreiben Renners an Stalin vom 15. April 1945 findet sich etwa ein erhellender Satz, den Renner handschriftlich anfügte: "Dass die Zukunft des Landes dem Sozialismus gehört, ist unfraglich und bedarf keiner Betonung."

Stalin kam der vermeintlich devote Österreicher zupass. Die Rote Armee hatte Mitte April bereits Wien eingenommen und große Teile Niederösterreichs besetzt, während im Rest Österreichs noch das NS-Regime herrschte und der Krieg weiter tobte. Stalin versuchte schon früh Fakten zu schaffen. Er erkor Renner als jenen Mann aus, der eine Marionettenregierung von Moskaus Gnaden führen sollte. Dafür gab er sich großzügig, gewährte etwa größere Lebensmittelrationen für Wien und erlaubte Tauschhandel mit Salz und Kohle. Renner versorgte Stalin im Gegenzug am 26. Mai 1945 mit einer ausführlichen Wiedergabe der Kabinettsitzung, wo die Regierungsmitglieder "überwältigt von der großherzigen Hilfe" aus Moskau gewesen seien. Renner verabsäumte nicht, gegen "ungläubige Thomase" aus den bürgerlichen Reihen zu sticheln, die "durch die Hitlerpropaganda noch immer keine hinreichende Vorstellung ... von der Leistungsfähigkeit und Zielsicherheit Ihrer Regierungsmethoden ..." besessen hätten.

Feines Gespür

Trotz wohlkalkulierter Spitzen gegen Stalins "Klassenfeind" hatte Renner freilich ein feines Gespür für realpolitische Erfordernisse. Rasch war ihm klar, dass er sich zu den Westmächten orientieren musste, um deren Anerkennung seiner provisorischen Regierung zu erreichen. Er komplimentierte die Russen aus den Kabinettsitzungen - und schon bald war es um die Freundschaft mit Stalin geschehen. Historiker Karner sagt, bereits Ende 1945 sei Renner "für die Russen nicht mehr ihr Mann" gewesen. Karner: "Die Sozialisten sah man vor allem als unsichere Genossen, ja nicht selten als Verräter einer gemeinsamen Sache." Die KPÖ hatte mit der verlorenen Wahl 1945 sowieso den letzten Kredit in Moskau verspielt. Mit Respekt erwähnte Moskau dagegen ab 1946/47 in den internen Papieren die ÖVP-Männer Raab und Figl. Karner: "Es hieß, diese seien zwar der Klassenfeind, aber wenigstens könne man auf ihr Wort vertrauen." (Petra Stuiber, DER STANDARD, 7.4.2015)