Dave Eggers denkt sich in einen Entführer hinein.

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Wien - Im schnelllebigen Feld der US-Gegenwartsautoren hat sich Dave Eggers unumstritten den Platz des Zeitgeistkritikers erobert. Er hat Wandlungsfähigkeit bewiesen, und seinem Einsatz für gesellschaftspolitische Anliegen mangelt es nicht an Glaubwürdigkeit. Im Spiegel forderte der 45-jährige Autor, der mir McSweeney's auch einen eigenen Verlag betreibt, gerade eine Ethik für digitale Inhalte, um dem Schindluder mit Personendaten ein Ende zu setzen. Eine Nachwehe zu seinem Erfolgsroman Der Circle, in dem er die Maximen eines Google-ähnlichen Konzerns als Dystopie des Jasagertums beschreibt.

Mit Zeitoun, Teil seines Voice-of-Witness-Projekts zu Menschenrechtsverletzungen, hat sich Eggers auch schon einmal dem Schicksal eines Mannes angenommen, der als unbescholtener Bürger plötzlich wie ein Krimineller behandelt wird. In diesem literarisch bearbeiteten Realfall - Zeitoun wurde Opfer des Missmanagements nach dem Hurrikan Katrina - zeigt sich die Gabe des Autors, gesellschaftliches Versagen umsichtig darzustellen, ohne es populistisch zu verkürzen.

Eure Väter, wo sind sie? Und die Propheten, leben sie ewig?, sein neues, mit 220 Seiten eher schmal ausgefallenes Buch, schließt an diese anthropologische Perspektive an, wählt dafür aber eine andere Form. Der Roman ist wie ein szenisches Stück entworfen, er besteht ausschließlich aus Dialogen - nur die Regieanweisungen fehlen.

Diese Einschränkungen seien ein Mittel gewesen, das Schreiben straff zu halten, meinte Eggers dazu in einem Interview. Im Verhältnis zum fast zeitgleich entstandenen Circle betrachte er das neue Buch als eine Art "dämonisches Baby". Wenn es in dem Netz-Roman um den Druck zur Konformität geht, kann man in Eure Väter, wo sind sie? tatsächlich ein (reichlich wirres) Modell des Rebellentums erkennen. Der 34-jährige Thomas ist ein Jedermann jenes männlichen Teils seiner Generation, der sich als zu kurz gekommen fühlt und von einem diffusen Argwohn angetrieben, nach fragwürdigen Sinnangeboten sucht.

Dass sie Täter und Opfer in einer Person ist, macht Eggers' Figur so interessant. Thomas entführt insgesamt sieben Menschen an einen stillgelegten Militärstützpunkt und fesselt sie isoliert voneinander an Pfeiler. Er will ihnen allerdings nicht (weitere) Gewalt antun, sondern sucht dringende Antworten. Darauf, warum die USA aufgehört haben, einer Vision zu folgen (eine Frage, die sich ein Astronaut und ein Ex-Senator anhören müssen); darauf, warum sein eigenes Leben keine Herausforderung brachte, die ihn zum Teil einer größeren Erzählung werden ließ (hier sind die eigene Mutter und ein Lehrer gefragt).

In diesem Roman lässt sich eine Rhetorik des Beschwichtigens und Ausweichens studieren, die gerade in ihrer Vertrautheit etwas Beunruhigendes hat. Eggers hat nicht nur ein gutes Ohr für die Dynamik des Redeflusses, sondern auch für Argumentationsmuster innerhalb der Verhöre, die zu allgemein und zugleich zu spezifisch sind, um auf einen Punkt zu kommen. Doch man ertappt sich beim Lesen immer wieder dabei, wie Standpunkte verschwimmen - man gibt mal diesem, mal jenem, manchmal auch Thomas recht.

Darauf, dass es zwischen richtig und falsch schon einmal weniger Nuancen gab, will schon der alttestamentarische Romantitel hinaus. Thomas lässt den aktuellen Relativismus nicht gelten. Er will eine Klarheit, in der die anderen nur eine Übertragung von Schuld sehen. Dass es am Ende von Eure Väter, wo sind sie? dennoch eine Person gibt, die sich in dem Rebellen irgendwo wiedererkennt, zeigt, wie ernst es Eggers mit seinem Einzeltäter ist. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD, 4.4.2015)