Standard: Konkret geht es um eine Sendung ohne Vorgabe, aber mit der ausdrücklichen Erlaubnis des Alkoholkonsums. Klingt ein wenig nach den anarchischen Anfängen des Privatfernsehens – im Zeichen des Sparzwangs?

von Sinnen: Genau, so klingt es für mich auch.

Standard: Wie kam es zu dazu?

von Sinnen: Ganz ehrlich: Ich bin die berühmte Jungfrau, die nicht so genau weiß, wie sie zu diesem Kind kommt. Ich weiß nur, dass mir mein alter Freund Hugo (Egon Balder) eine SMS schickte, und ich sofort zusagte. Ich freue mich darauf, einem kleinen Sender Aufmerksamkeit zu verschaffen.

In "Der Klügere kippt nach" stellt Hella von Sinnen ihre Trinkfestigkeit unter Beweis.
Foto: Tele 5

Standard: Improvisieren mögen Sie. Kann also nichts schief gehen?

von Sinnen: Aufgrund meines Temperamentes und meiner Schlagfertigkeit sollte ich mich wohl fühlen. Aber wenn da mehrere sitzen, könnte ich ja überraschenderweise auch einmal die Pappn halten und zuhören.

Standard: Die Frage ist, ob Sie das schaffen?

von Sinnen: Gute Frage, aber mit einem Glas am Mund geht das.

Standard: Ist es so, dass Sie kommen, wenn Herr Balder ruft?von Sinnen: Das hört sich ein bisschen komisch an, wenn Sie das so sagen. Aber in der Tat. Ich freue mich einfach, mit ihm, was auch immer zu machen. Genauso geht es mir mit Wigald Boning. Das sind einfach Freunde.

Standard: Witzig, dass es fast auf den Tag genau 27 Jahre her ist, als "Alles Nichts Oder?!" begann. Kommt da Nostalgie auf oder verklärt die Erinnerung?

von Sinnen: Nein, das waren schon wirklich goldene Zeiten. Es gab unfassbar viel Geld für jeden Quatsch, den man machte. Das merkwürdige Wort Quote war nicht erfunden, und da wir alle Kreative waren, hatten wir Spaß und mit Helmut Thoma einen Chef, der sagte: Na, dann machen’s halt. Ich bin aber keine Nostalgikerin, sondern durchaus zukunftsgewandt. Ich freue mich, dass wir mit einer anarchistischen Sendung um die Ecke kommen.

Höhepunkt der RTL-Show "Alles Nichts Oder!?" war jedes Mal die Tortenschlacht.
Foto: RTL

Standard: In letzter Zeit sind Sie nicht mehr präsent im Fernsehen. Könnte man sagen, die fetten Jahre der Hella von Sinnen sind vorbei?

von Sinnen: Ja, ich bin wirklich unglaublich dünn geworden – die fetten Jahre sind in der Tat vorbei. In Wahrheit glaube ich aber, dass die fetten Jahre noch kommen. Das Schöne an mir ist, dass ich Schauspielerin bin und immer besser werde. Ich erhoffe mir wirklich gute Rollen. So lange ich noch ein paar Haare am Kopf habe und ein paar Zähne im Maul, möchte ich weiter Fernsehen machen.

Bild nicht mehr verfügbar.

Auch Harald Schmidt wurde einst mit Tortengatsch beworfen.
Foto: APA / dpa / Horst Ossinger

Standard: Eine schauspielerische Karriere könnte aber doch schwierig sein – Branche und Publikum sehen Sie woanders.

von Sinnen: Ich bin sehr davon überzeugt, dass ich jahrelang in einer Schublade gewohnt habe, wo ich Tortenreste im Gesicht hatte, Tschakka-tschakka schrie und und ein großes L auf der Stirn tätowiert hatte.

Standard: Ist das große L hinderlich beim Rollenangebot?

von Sinnen: Das Schöne ist, dass es Menschen gibt, die sich darum nichts scheren und denen es auch egal ist, dass ich lesbisch bin. Therese Giese und Elisabeth Flickenschildt waren auch lesbisch. Lily Tomlin, Ellen DeGeneres und Rosie O’Donnell sind auch lesbisch. Es kann nicht sein, dass einem das im Wege steht. In Deutschland sind die Macher leider so beschränkt. Aber es ist heute besser. Ich bin 56 und gehe fest davon aus, dass ich seriöse Rollenangebote bekomme. Was mich persönlich betrifft, hoffe ich, dass bei mir das Thema mal durch ist und ich nicht hauptberuflich lesbisch sein muss.

Mit Astrid M. Fünderich spielte Hella von Sinnen in "Soko Leipzig".
Foto: ZDF


Standard: Sie haben mit Jürgen Domian Abitur gemacht. Haben Sie sich beraten, bevor er sich entschloss, seine Sendung aufzugeben? Wäre das was Sie?

von Sinnen: Achso, was für eine schöne Idee. Denn das ist in der Tat meine Zeit. Mich interessiert der Vormittag nicht so sehr. Ich sehe Jürgen seit der ersten Stunde, glaube aber nicht dass die Stelle vakant ist. Von meiner Sozialkompetenz würde ich es mir zutrauen, wenn auch nicht in der Qualität von Jürgen.

Standard: Zuletzt haben Sie den Selfie-Wahn beklagt. Stört Sie die Öffentlichkeit?

von Sinnen: Das kann man so nicht sagen. Ich wollte mit zwölf Jahren Popstar werden und habe mit dem Federballschläger vor dem Spiegel Barry Gibb einstudiert und meine Unterschrift, damals noch "Hella Kemper", geübt. Wenn ich raus gehe, schminke ich mein Gesicht und wenn die Leute Fotos machen wollen, mache ich das gerne mit. Dass das mit den Handyfotos eine unfassbare Penetranz angenommen hat, ist wiederum eine andere Geschichte. Früher hatte ich einen Arsch voll Autogrammkarten und habe die auf der Straße verteilt. Mit den Handyfotos stehe ich zehn Minuten in einem Pulk und das ist available lifetime. Aber so richtig stört es mich auch wieder nicht. Das Kapital einer jeden Künstlerin ist das Publikum. Wenn sich die 20-jährigen Dinger mit mir fotografieren lassen wollen, ist das der Beweis meiner Street Credibility. Da bin ich die letzte, die sich beschwert.

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Lässt sich gern fotografieren.
Foto: AP / dapd

Standard: Schauen Sie selbst fern?

von Sinnen: Amerikanische Serien und im Free-TV "TV Total". Ich finde immer noch gut, was Stefan Raab macht. Ich amüsiere mich hervorragend.

Standard: Jan Böhmermann?

von Sinnen: Nicht so gern. Ich finde ihn uncharmant und nicht sehr witzig. Den Hype kann ich nicht nachvollziehen. Als Produzent scheint der Junge Fernsehverstand zu haben, aber als Entertainer hat er auf mich null Impact.

Standard: Sie sollen sehr trinkfest sein. Gute Voraussetzungen?

von Sinnen: Ich habe keine Lust, mich vor der Kamera zu besaufen. Es kann nicht in meinem Interesse liegen, mich komplett zum Affen zu machen.

Trailer zu "Der Klügere kippt nach" auf Tele 5.
TELE 5

Standard: Und der Vorwurf, dass die Sendung Alkohol verherrlicht?

von Sinnen: Alles soll politisch korrekt sein, alles ist verboten. Ich stimme mit Hugo überein, dass es Zeit ist, denen da wieder einmal einen dicken Haufen vor die Tür zu kacken. (Doris Priesching, DER STANDARD, 4./5./6.4.2015)