"Reconstructing" nennt sich der Vorgang des Abbruchs eines Altbaus samt folgender Neubebauung desselben Grundstücks. Das Einsparpotenzial beim Heizwärmebedarf ist im Regelfall enorm.

Foto: http://www.istockphoto.com/dean2

Ein Knall. Ein weiterer. Und noch einer. Um 14.40 Uhr, nach nur 15 Sekunden, sind die beiden Wohnhochhäuser am Harter Plateau Geschichte. Übrig geblieben sind 40.000 Tonnen Schutt, Stahl und Staub. "Ein Wohnhaus mit 480 Wohnungen abzubrechen ist nichts Alltägliches, da gibt es viele Ängste und Anliegen, um die man sich kümmern muss", sagt Georg Pilarz, Vorstandschef des gemeinnützigen Bauträgers Giwog AG, in Erinnerung an die Detonation vor zwölf Jahren, der bislang größten Gebäudesprengung Europas. "Aber manchmal führt eben kein Weg daran vorbei. Mit dem Abbruch der beiden Hochhäuser in Linz-Leonding hat sich unser Image stark verändert."

Pilarz war einer von zehn Vortragenden der Expertenfachtagung, die kürzlich in Innsbruck über die Bühne ging. Das Thema der interdisziplinären Veranstaltung der Wohnen Plus Akademie lautete "Sanieren, Verdichten, Abbrechen". Nicht immer werden die mitunter unangenehmen Etappen am Ende des Lebenszyklus von der Immobilienwirtschaft offen und ehrlich angesprochen. Immer noch richtet sich der nach außen kommunizierte Fokus der meisten Unternehmen auf den Neubau. Das ist attraktiver und medial besser vermarktbar.

Riesiger Altbestand

Von den knapp 2,2 Millionen bestehenden Bauwerken in Österreich (Stand 2011, Statistik Austria) sind 1,5 Millionen Gebäude älter als 30 Jahre. Das sind rund 68 Prozent der gesamten österreichischen Bausubstanz. Ein Großteil stammt aus der Nachkriegszeit, in der andere Interessen als die heute geltenden verfolgt wurden. Nur ein Bruchteil dieser Häuser entspricht den heutigen Anforderungen an Energieeffizienz, Funktionsflexibilität und städtische Vielfalt. Da liegt noch ein langer Weg vor uns, so der Tenor der Experten.

"Es gibt viele Altbauten, die einen Heizwärmebedarf von 100 bis 200 kWh/m²a aufweisen", meint Hannes Gschwentner, Geschäftsführer der Neuen Heimat Tirol (NHT), die sich schon seit vielen Jahren auf Sanierung und Passivhausqualität spezialisiert. "Und wenn man bedenkt, dass auf die Sparte Wohnen und Gebäude rund 40 Prozent des gesamten Energieverbrauchs in Europa entfallen, dann gibt es keine Entschuldigung, sich mit diesem Thema nicht auseinanderzusetzen." Sein Appell: "Wir müssen heute schon den Standard von morgen entwickeln."

Wie dieser Standard aussehen kann, zeigt sich anhand einiger Projekte, die in Innsbruck präsentiert wurden. Das Spektrum reicht von thermischer Sanierung (und zwar nicht nur mit Erdölderivaten, sondern auch mit nichtfossilen Alternativen) über den Einbau kontrollierter Wohnraumlüftung in bestehenden Häusern bis hin zum sogenannten "Reconstructing" - nichts anderes als eine euphemistische Umschreibung für Abbruch und Neubebauung am gleichen Grundstück. "Früher haben wir den Mietern in so einem Fall, so wie das die meisten tun, für die Dauer der Baustelle eine temporäre Ersatzwohnung angeboten und ihnen danach eine Wohnung im Neubau zur Verfügung gestellt", erzählt Franz Armbrust, Geschäftsführer des Wohnbauträgers Fortschritt in Klagenfurt. "Aber das machen wir nicht mehr. Die Leute hängen an ihren Wohnungen, man kann sie nicht einfach umsiedeln und sie dann wieder rücksiedeln. Das ist eine zu große Belastung."

Was macht Fortschritt? "Bei Reconstructing führen wir Abbruch und Neubau ausschließlich in mehreren Bauetappen durch, und zwar so, dass die Mieterinnen und Mieter schrittweise von ihrer alten Wohnung in die neue umziehen können." Die Reconstructing-Projekte sind bewusst so konzipiert, dass die Neubauten in den Lücken und Zwischenräumen des Altbestands errichtet werden. Zwar hat man dann monatelang eine Baustelle vorm Fenster, "aber das nehmen die Leute durchaus in Kauf", so Armbrust.

Auch in Zürich, wo sich die Mieten in den letzten 15 Jahren um 30 Prozent verteuert haben, sind Grund und Boden ein knappes und kaum noch leistbares Gut. Viele Genossenschaften setzen dort ebenfalls auf die Karte "Verdichtung", indem sie die Nachkriegshäuser sukzessive abreißen und durch höhere, effizienter gestaltete Wohnhausanlagen ersetzen. In der Gartenstadt Grünmatt-Friesenberg in Zürich hat vor einigen Jahre ein solches Verdichtungskonzept gestartet. In 24 (!) Bauphasen werden die insgesamt 2200 Wohnungen auf diese Weise Stück für Stück ersetzt.

Geändertes Wohnverhalten

"Aufgrund der demografischen Entwicklung und neuer Lebensstile hat sich das Wohnverhalten der Menschen stark gewandelt", meint Daniel O. Maerki, Geschäftsführer der Wohnbaugenossenschaft Schweiz, Regionalverband Zürich. "Nachdem das bestehende Angebot den heutigen Bedürfnissen nicht mehr entspricht, ist Ersatzneubau oft die einzige Möglichkeit, um in der Stadt attraktiven, leistbaren Wohnraum zu schaffen."

In der Zürcher Zollstraße soll bis 2020 ein Haus mit sogenannten Hallenwohnungen entstehen. Dabei werden die Bewohner die Möglichkeit haben, im Zuge eines Partizipationsprozesses nicht nur im Grundriss ein Wörtchen mitzureden, sondern auch in der dritten Dimension, also in der Raumhöhe sowie in der Stapelung der Funktionen. Es sei das erste Projekt dieser Art weltweit, so Maerki.

Und in Innsbruck hat vor zehn Monaten das EU-Forschungsprojekt "Sinfonia" gestartet (Gesamtfördervolumen 27,5 Millionen Euro). Dabei sollen die beiden Pionierstädte Innsbruck und Bozen anhand der Smart-City-Kriterien in den kommenden fünf Jahren clusterweise saniert und adaptiert werden. Die Besonderheit dabei: Jeder einzelne Sanierungsschritt muss dokumentiert und ausgewertet werden. Auf diese Weise sollen die Erkenntnisse der einzelnen Player öffentlich zugänglich gemacht und in den Partnerstädten nachgeahmt werden können. Das Ziel: 40 bis 50 Prozent weniger Energieverbrauch auf Stadtteilebene.

"Integrale Planung ein Muss"

Langfristig gebe es nur eine Möglichkeit, Wohnhäuser für eine Stadt zu bauen, und zwar im Optimalfall ohne Sanierungs- und Abbruchbedarf: "Wenn wir wirklich den maßlos missbrauchten Begriff der Nachhaltigkeit für uns beanspruchen, dann muss sich die Bestellqualität der Bauherren verbessern", fordert Christoph Achammer, ATP Ingenieure, in seinem flammenden Vortrag. "Alles, was wir in der Initialphase verabsäumen und erst in der Planungsphase erkennen, führt zu grauenhaften Ergebnissen. In der Vorentwurfsphase jedes Projekts ist die Kuh bereits aus dem Stall. Eine nachträgliche Korrektur ist fast unmöglich."

Wolle man die Stadt verdichten und lebenswert machen, führe am integralen Planungsansatz sowie am Building Information Modeling (BIM) kein Weg vorbei. "Mit nur zwei Prozent mehr Aufwand in der Planungsphase sind wir in der Lage, 30 Prozent der Baukosten und rund 50 Prozent der Betriebskosten zu beeinflussen und einzusparen", sagt Achammer. "Dieser immense Lebenszyklus-Hebel muss endlich einmal thematisiert werden!" (Wojciech Czaja, DER STANDARD, 4.4.2015)