"Andy Holzer tut etwas, was andere nur selten schaffen: Er verwirklicht sein Potenzial. Und sieht Hürden nicht als Entmutigung, sondern als Herausforderung", sagt Blindenverbands-Chef Markus Wolf.

foto: thimfilm

"Ich glaube, dass ich das Gleiche sehe wie du. Stell dir einfach einen violetten Apfel vor", sagt Andy Holzer - etwas, das es nicht gibt, das man aber trotzdem vor seinem inneren Auge sehen kann. So wie der sympathische Osttiroler die Welt vor seinem inneren Auge sehen kann.

Der 48-Jährige ist von Geburt an so gut wie blind, nimmt nur noch Hell-dunkel-Kontraste und einzelne Farbtöne wahr. Was ihn von den 318.000 Sehbehinderten und den meisten anderen Österreichern unterscheidet: Er ist Extrembergsteiger und hat sechs der sieben höchsten Berge der Welt bestiegen.

Kein klassischer Bergsteigerfilm

Der Dokumentarfilm "Unter Blinden - Das extreme Leben des Andy Holzer" der Regisseurin Eva Spreitzhofer widmet sich Holzers außergewöhnlichem Leben, erzählt von Träumen und Grenzüberschreitungen, von einer nicht immer leichten Kindheit, von sportlichen Höchstleistungen. Es handelt sich dabei um keinen klassischen Bergsteigerfilm, keine gut gemeinte Dokumentation, sondern um einen differenzierten Blick auf ein Leben, das vom Blindsein geprägt ist, sich davon aber nicht einschränken lässt. Und wohl reicher ist als das vieler sehender Menschen.

"Auch Sehende sehen mit Fingern und Ohren, mit Geschmacks- und Geruchssinn. Diese Sinne helfen mir, den fehlenden fünften zu ersetzen", sagt Holzer. Der gelernte Heilmasseur wurde als Sehender erzogen und machte seine Not zur Tugend. Weil er nicht auffallen wollte, lernte er, seine anderen Sinne zu perfektionieren und ein Sensorium für Signale aus seiner Umwelt zu entwickeln. So verheimlichte er oft sein Blindsein. Heute reist er um die ganze Welt, hält Vorträge zum Thema Motivation und wie man den inneren Schweinehund überlisten kann.

200 Tage im Jahr blind am Berg

Das Visuelle geht Andy Holzer kaum ab: "Wenn man 200 Tage im Jahr am Berg verbringt, steigt man nicht mehr wegen der Aussicht hinauf." Im Gegenteil, wenn er jetzt auf einmal sehen könnte, würde für ihn eine ganze Welt zusammenbrechen, erzählt Holzer - er kenne sich dann nicht mehr aus, würde den Boden unter den Füßen verlieren. Man glaubt es ihm.

"Was den Film so besonders macht, ist sein befreiter, humorvoller Zugang. Die Regisseurin hat die Kamera einfach laufen lassen, nicht viel inszeniert, nichts verschönert. Und obwohl es in jeder Minute um das Blindsein geht, steht es nicht im Vordergrund", sagt Stefanie Steinbauer vom österreichischen Blinden- und Sehbehindertenverband.

Hürden als Herausforderung

Natürlich sei Holzer kein exemplarischer Blinder, aber eben auch kein exemplarischer Mensch - "sondern ein ganz außergewöhnlicher", sagt Steinbauer. Auch Markus Wolf, Präsident des Blindenverbands, sieht das so: "Andy Holzer tut etwas, was andere nur selten schaffen: Er verwirklicht sein Potenzial. Und sieht Hürden nicht als Entmutigung, sondern als Herausforderung." Es sei gut, dass der Film Bewusstsein für das Thema Blindheit schafft, das ansonsten in Medien, auch im Film kaum präsent ist. Denn noch immer hätten es Blinde und Sehbehinderte in Österreich schwerer, als es eigentlich sein müsste.

So seien Führerhunde im Gegensatz zu anderen Ländern wie den Niederlanden, Slowenien und Schweden hierzulande nicht ausfinanziert. Auch der Abbau von Barrieren, zu dem sich Österreich mit der UN-Konvention von 2008 bereiterklärt hat, werde zu sehr als Abbau von physischen Hindernissen verstanden, nicht aber von visuellen. So brauche es bessere Leitsysteme mit starken Kontrasten und baulichen Absicherungen.

Mangelnde Audiodeskription im ORF

Auch in den Medien sieht Markus Wolf noch Nachholbedarf, etwa bei der Audiodeskription von TV-Sendungen. So sind im ORF nur 2,5 Prozent aller Sendungen mit Untertiteln für Sehbehinderte versehen, darunter "viele alte Krimis", aber nur wenige aktuelle Filme und Serien. In Großbritannien hingegen seien gesetzlich zehn Prozent vorgeschrieben, wobei die meisten Sender freiwillig bereits 20 Prozent und mehr erfüllen.

Besser ist die Situation im Internet, denn die meisten österreichischen Seiten seien "gut zugänglich". Auch die öffentlichen Verkehrsmittel hierzulande sind weitgehend blindengerecht, insbesondere in Wien. Wobei das entscheidende Argument etwa für Niederflurwagen nicht unbedingt die Blindengerechtheit, sondern die Barrierefreiheit für Rollstuhlfahrer darstellt. Immerhin steige aber das Bewusstsein in der Öffentlichkeit für Behinderungen.

Vorurteile abbauen

Wolf wünscht sich, dass in Zukunft Vorurteile abgebaut werden. Filme wie "Unter Blinden" seien ein wichtiger Beitrag, die zeigen, dass auch Sehbehinderte erfolgreich sein können. Auch die Politik sieht Wolf gefordert, denn nach wie vor ist die Arbeitslosenrate bei Blinden und Sehbehinderten um ein Vielfaches höher als beim Rest der Bevölkerung. Während das Bildungssystem noch nicht das Problem ist, gebe es für viele erhebliche Probleme beim Zugang zum Arbeitsmarkt.

Dennoch sei die Situation heute in allen Bereichen ganz anders als noch vor 20 Jahren. "Es wird besser. Das Bewusstsein in der Öffentlichkeit steigt." (Florian Bayer, derStandard.at, 3.4.2015)