Jeder Rechtsstaat ringt ständig mit der Frage, wie Strafverfahren gleichzeitig effizient und fair geführt werden können. In Österreich wurde vor sieben Jahren in einer noch unter Schwarz-Blau beschlossenen Reform der Strafprozessordnung die - in anderen Ländern weiterhin übliche - Funktion des mächtigen Untersuchungsrichters abgeschafft und der Staatsanwalt zum Herrn des Ermittlungsverfahrens ernannt. Das hat sich grundsätzlich bewährt, mit einer großen Ausnahme: Ist für die Urteilsfindung die Expertise eines Sachverständigen notwendig, dann wird der von der Staatsanwaltschaft bestellt und dann aus Kostengründen vom Richter im Hauptverfahren meist übernommen. Schließlich habe er sich schon in die Materie gut eingearbeitet, heißt es.

Bis vor kurzem hatten Angeklagte kaum ein Mittel, sich dagegen zu wehren, dass der Gutachter der Anklage auch gleich das Urteil mitentscheidet. Verschärft wird das Problem dadurch, dass es nur eine Handvoll von Experten im Land gibt, die Licht ins Dunkel von komplexen Wirtschaftscausen bringen können. Und für die sind die Aufträge der Staatsanwaltschaft ein lukratives Geschäft.

So war das im Bawag-Prozess gegen Helmut Elsner und Co und in vielen anderen Großverfahren, die seit der Finanzkrise 2008 Gerichte und Öffentlichkeit beschäftigen. Dass diese Praxis wahrscheinlich verfassungs- und auch menschenrechtswidrig ist, war in Juristenkreisen bekannt. Aber da die Richter am Obersten Gerichtshof daran nicht rütteln wollten und keine Fälle an den Verfassungsgerichtshof verwiesen, erhielt dieser keine Chance, die Regelung zu prüfen.

Es ist vor allem dem OGH-Präsidenten Eckart Ratz zu verdanken, dass die fragwürdige Praxis der Gutachter- Bestellung doch noch den Weg zum VfGH fand. Er hat auch viel dazu beigetragen, dass in der neuen Strafprozessordnung mehr Waffengleichheit zwischen Anklage und Verteidigung geschaffen wurde. Wenn als Folge der VfGH-Entscheidung zahlreiche große Wirtschaftsfälle nun wieder aufgerollt und mit hohen Kosten neu verhandelt werden müssen, dann geschieht das der österreichischen Justiz recht. Die Nonchalance, mit der Rechtsschutzprobleme in diesem Land abgetan werden, ist einfach untragbar.

Die entscheidende Frage aber ist, ob die neue Strafprozessordnung, auf die Justizminister Wolfgang Brandstetter so stolz ist, die Ansprüche eines modernen Rechtsstaates erfüllt. Auf dem Papier - ja: Die Verteidigung erhält nunmehr die Chance, einen Sachverständigen gleich in der Anfangsphase der Ermittlungen abzulehnen, wenn sie an seiner Unparteilichkeit zweifelt. Sie kann auch fordern, dass der Gutachter nicht vom Staatsanwalt, sondern vom Ermittlungsrichter geführt wird, der so einige Kompetenzen des früheren U-Richters zurückerhält. Das erschwert allerdings die Arbeit der Staatsanwaltschaft, die sich dann selbst das notwendige Wissen über die Materien erarbeiten muss - und dafür mehr und bessere Mitarbeiter braucht.

Viele Juristen befürchten, dass sich in der Praxis nicht viel ändern wird und der Gerichtsgutachter weiterhin unter dem Einfluss der Anklage steht. Doch dann wäre auch die neue Strafprozessordnung verfassungswidrig - und die unter ihr gefällten Urteile fragwürdig. Es liegt nun in den Händen des Justizministeriums und der Gerichte, das zu vermeiden und endlich für ausreichenden Rechtschutz zu sorgen - auch wenn dieser etwas kostet. (Eric Frey, DER STANDARD, 3.4.2015)