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Crashtest ist nicht gleich Crashtest. In USA und Europa gelten andere Regeln bei den Sicherheitsprüfungen.

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Wien - Die Beamten in Brüssel lieben Crashtest-Dummies. Wann immer sie die Vorteile des geplanten Freihandelsabkommens TTIP zwischen der EU und den USA betonen wollen, kommen sie auf die Puppen zu sprechen.

Die Zulassungsverfahren für Pkws in Europa unterscheiden sich stark von den Regeln in den USA. Auf jeder Seite des Atlantiks müssen Fahrzeuge einen Crashtest absolvieren. Aber die Vorgaben der Behörden sind andere: Wenn etwa VW einen neuen Golf in den USA verkaufen möchte, muss der Konzern die Sicherheit des Wagens bei einem Frontalcrash gegen ein festes Hindernis nachweisen. In Europa sind elastische Hindernisse vorgeschrieben. Die Test-Dummies müssen in den USA anders sitzen und den Aufprall selbst unangegurtet "überleben". In Europa gibt es nur Tests mit Gurt.

Die EU-Kommission sagt, dass kein Prüfverfahren besser ist. Wenn es also mit TTIP gelingen würde, die Regeln zu vereinheitlichen, könnten sich Autobauer einen Test und damit Millionen sparen. Und die Dummies sind ja nur der Anfang.

Zwischen der EU und den USA gibt es tausende unterschiedliche Produktnormen in der Chemie-, Metall-, und Pharmaindustrie. Nichttarifäre Handelshemmnisse nennen Experten solche Regeln. Wenn man einen Teil dieser Hindernisse abbaut, könnte man laut Brüsseler Beamten den Handel zwischen Amerika und Europa zum Florieren bringen und für einen Wachstumsschub sorgen.

119 Milliarden

Die EU-Kommission hat Zahlen parat. Mit TTIP würde die Wirtschaftsleistung der EU um 119 Milliarden Euro zulegen. Das wären pro Haushalt etwa 500 Euro. Allein Autoexporte könnten um 40, Metallexporte um zwölf Prozent steigen. Die EU ist bei TTIP unter Druck - Stichwort Chlorhuhn. Solche Zahlen sind deshalb wichtig aus Brüsseler Sicht. Fragt sich nur: Wie realistisch sind sie? Warum kann die Kommission solch Daten nennen?

Tatsächlich stammen die Werte der Kommission aus einer Studie mit dem Titel "Reducing Transatlantic Barriers to Trade and Investment". Das 2013 veröffentlichte Papier wurde von Londoner Thinktank CEPR im Auftrag der EU ausgearbeitet. Die Studienautoren rund um den Ökonomen Francois Joseph haben Daten über Handelshindernisse und Handelsströme zusammengetragen. Sie haben sich angesehen, wie hoch bestehende Zölle und nicht tarifäre Handelshemmnisse sind.

In einem zweiten Schritt haben die Ökonomen Annahmen darüber getroffen, was sich mit TTIP ändern wird. So wurde errechnet, was passiert, wenn alle Zölle fallen würden und ein Viertel der nicht tarifären Hemmnisse abgeschafft werden. In diesem optimistischen Szenario stieg die Wirtschaftsleistung der EU wie erwähnt um 119 Milliarden Euro.

Viele Annahmen

Bei einem genauen Blick zeigt sich aber, dass der Studie viele spekulative Annahmen zu Grunde liegen. Diese müssen nicht falsch sein - eine exakte Wissenschaft sind die Berechnungen aber nicht. Das beginnt bei der Frage, wie man nichttarifäre Hemmnisse bewertet: Bei den Crashtest-Dummies mag das noch einfach gehen. Aber welchen Kostenvorteil bringt es einem europäischen Autobauer, wenn er künftig nicht mehr verschiedene Blinker, einen roten in den USA und einen gelben in Europa, einbauen muss?

Die Ökonomen von CEPR haben auf einer Untersuchung der Rotterdamer Firma Ecorys zurückgegriffen. Ecorys hat 2009 im Auftrag der EU versucht, die Kosten der nicht tarifären Hemmnisse zu bewerten. Dafür wurden rund 5000 Unternehmer zunächst befragt, wie hoch die Hemmnisse in ihrem Sektor überhaupt sind. Doch solche Befragungen sind nicht akkurat, sagt der auf internationale Entwicklung spezialisierte Wiener Ökonom Bernhard Tröster. Denn mit den Umfragen lässt sich kaum unterscheiden, ob jemand Hindernisse wahrnimmt, weil die Vorschriften unterschiedlich sind oder weil natürliche Barrieren (Sprache, Kultur, Entfernung) Exporten im Weg stehen. "Die Annahmen über nicht tarifäre Hemmnisse sind daher immer über den Daumen gepeilt", so Tröster. Doch damit nicht genug.

Das Fundament für die Studie zu TTIP sind Modelle, mit denen versucht wird zu errechnen, was geschieht, wenn bestimmte Exportgüter billiger werden - wie sich also das Verhalten der Konsumenten ändert. Diese Modelle basieren auf aktuellen makroökonomischen Daten und Handelsströmen.

Doch ein großer Teil der Faktoren, die darüber entscheiden ob Konsumenten bestimmte Produkte kaufen, hat wenig mit dem Preis zu tun. Beispiel Auto: Gerade im US-Markt spielt neben Geld auch spezielle Vorlieben eine wesentliche Rolle. Die Amerikaner fahren mehr SUVs, Pick-ups, Limousinen. Kleinwagen und Kombis wie in Europa gibt es nur wenige.

Viel Zirkus

Europas Automobilhersteller müssen also sowieso komplett anders produzieren, wenn sie am US-Markt erfolgreich sein wollen. Allein Normvereinheitlichung bringen wenig, so ein Autoexperte. So produzieren VW und BMW bereits erfolgreich in den USA. Fiat und Peugeot hätten mit ihrem derzeitigen Angebot dagegen kaum Chancen am US-Markt, und zwar selbst dann, wenn sie ihre Autos deutlich billiger anbieten können.

Was aber sagt der Studienautor des CEPR-Papiers? Francois Joseph verteidigt seine Berechnungen. Die Modelle auf denen sie beruhen, stammen bereits aus den 1950er Jahren. Seine Kalkulationen seien zu "90 bis 95 Prozent akkurat". Allerdings räumt er ein, dass der wichtigste Beitrag seiner Untersuchung darin bestand, Daten und Zahlen zu den Handelsströmen zwischen Europa und den USA überhaupt einmal zusammenzutragen. "Das wichtigste Anliegen bei so einer Studie ist es, den Entscheidungsträgern einen Überblick über die aktuellen Zahlen zu liefern", sagt Joseph. "Der Rest, der rundherum veranstaltet wird, ist Zirkus." (András Szigetvari, DER STANDARD, 2.4.2015)