Es lief gut für den King Anfang April 1969. Elvis Presley, Car-Guy und gottgleicher Rock 'n' Roller, schob zwischen den Erwerb eines Anwesens und den Abschluss eines Filmvertrags kurzerhand den Ankauf eines der größten, beeindruckendsten und elegantesten Automobile jener Tage ein, des Mercedes 600 Pullman. Fortan gab er seinen Fans durch die Schiebedachluke spontane Parkplatzaudienzen.
Der hellblau lackierte Monumentalriegel war auch Jahre nach seinem Debüt der Maßstab, wenn es um Repräsentationswerte, Edelsinn und Hochtechnologie ging. 1963 feierte der Mercedes 600, interner Code W 100, Premiere. Diese Oberklasse war für sich genommen schon ein einzigartiges Ereignis, 1965 schoben die Stuttgarter den ultimativen Prestigebringer, den Staat in Autogestalt nach: den 600 Pullman.
6,24 Meter lang war der Ober-Benz. Radstand: 3,9 Meter. Unter Chrom und Metall hatte man ein feinnerviges Netz an Dienstbarkeiten ausgeworfen. Pneumatische und unterdruckpneumatische Nervenbahnen durchzogen das Gerät. Per Hydraulik wurden Sitze, Seitenfenster, Schiebedächer und der Kofferraumdeckel bewegt. Die Klimaanlage beinhaltete eine elektrisch regulierbare Lüftungs- und Heizungsanlage.
Um diese Grande Complication am Laufen zu halten, pferchte man unzählige Pumpen und Kompressoren in den Motorraum, dessen eigentlicher Hauptdarsteller angesichts dieses Aufmarschs und zahlreicher Versorgerjobs (bis zu sieben Keilriemen!) zur Nebensache verkam. Der Form halber: V8-Motor längs, 6,3 Liter Hubraum, 250 PS. Laufkultur: superseidig. Verbrauch: auch.
Luftfederung inklusive Niveauregulierung ließen kein Ungemach an den Allerwertesten des Fahrgastes dringen. Der Innenraum konnte auf Wunsch individualisiert werden. Leder und Edelholz waren obligat, Bordtelefon, Trennwand mit Schiebefenster (hydraulisch, natürlich) und Minibar standen in der Extras-Liste. Dazu die Wahl zwischen sieben oder acht Sitzen und vier oder sechs Türen. Der Preis? 175.000 D-Mark für den 3,3 Tonnen schweren Pullman-Sechstürer, was heute ungefähr 200.000 Euro entspricht. 1965 gingen sich um das Geld ein paar Einfamilienhäuser aus.
Dass diese frivole Ansage, dieser hochtechnisierte Tausendsassa nicht zur feisten Lachnummer verkam, war vor allem den Formgebern in Stuttgart zu verdanken: Bruno Sacco (der später zum Daimler-Gestaltungsguru aufstieg), Paul Bracq (Erschaffer der SL "Pagode" und später BMW-Designchef) und Friedrich Geiger (300 SL Flügeltürer). Sie schufen eine zeitlos-elegante Silhouette, die inklusive des offenen Landaulets bis 1981 optisch nahezu unverändert gebaut wurde - und das, obwohl der Pullman für Daimler ein reines Zuschussgeschäft war. Insgesamt wurden gerade einmal 429 Stück gefertigt.
Dienstwagen der besonders Gleichen
Doch die mehrten - und das war das deklarierte Ziel der Mercedes-Truppe - den Ruf des Herstellers als Alleinherrscher in der Luxus-Superliga. Dankbar griffen Stars und Magnaten zu (Aristoteles Onassis, Coco Chanel, Elizabeth Taylor, John Lennon ...). In Bonn, Wien, London und im Vatikan gehörte ein Pullman zum Repräsentationsfuhrpark. Gleichzeitig trat man sich aber auch ausgesprochene Problemkundschaft ein, schließlich verkörperte der 600er eine Art natürlichen Anspruchs auf Herrschertum und Staatenlenkung.
Jugoslawiens Josip Broz Tito, Iraks Saddam Hussein und Schah Reza Pahlavi glitten in Pullmans am Volk vorüber, Fanboys waren aber nicht zuletzt kommunistische Potentaten wie die nordkoreanischen Kims, der rumänische Conducator Nicolae Ceausescu, UdSSR-Lenker Leonid Breschnew, Kubas Fidel Castro und der chinesische Revolutionär Mao Tse-tung - allesamt Kunden, an die Mercedes angesichts der Neuinterpretation des 600 Pullman beim Genfer Salon 2015 wahrscheinlich nicht erinnert werden will. Man sollte in vorauseilendem Optimismus einfach einmal davon ausgehen, dass diesmal nur gute Menschen zum neuen Mercedes-Maybach Pullman greifen.
Der zeigt zum einen: Daimler hat die Schmach mit der ausgelagerten Marke Maybach weggesteckt. Statur und Auftritt strahlen jene selbsterklärende Größe aus, die Gravitas von schierer Masse unterscheidet.
Zum anderen wird hier auf 6,5 Meter Länge und mithilfe von 530 Biturbo-PS gezeigt, was in puncto Luxus möglich ist, ohne ins Bizarre zu verfallen. Vier vis-à-vis angeordnete Sitze im Fonds samt kinematischer Raffinessen, ein Vollbad in Leder, und der Blick auf die zufriedene Nackenfalte des Chauffeurs. Das sollte einem schon rund eine halbe Million Euro wert sein. (Stefan Schlögl, DER STANDARD Rondomobil)