Ein Bildstein aus Gotland zeigt einen Zweikampf und eine Schiffsreise. Achterschlaufen symbolisieren die Unendlichkeit. Bei den Helmen sind sich die Forscher nicht sicher: Sind es am Ende doch Speerspitzen?

Foto: Swedish History Museum/Helmut Lackinger

Schallaburg – Wer an Wikinger denkt, hat sofort Bilder im Kopf. Von großen, wilden, haarigen Männern, die kriegerische Götzen anbeten und Met-trunken über hilflose Küstendörfer herfallen. Oder man denkt an Zeichentrick aus der Kindheit, den klugen "Wickie" mit seinen starken Männern – jene ZDF/ORF-Koproduktion aus den Siebzigerjahren, die das Wikingerbild ganzer Generationen prägte. Der gehörnte Helm ist wohl in beiden Bildern zentral. Eine Lüge, die sich seit 150 Jahren hält.

Die Wanderausstellung "We Call Them Vikings" des Swedish History Museum hat sich zum Ziel gesetzt, das durch Mythen, Pop- und Hochkultur weltweit verfälschte Bild der Wikinger historisch ins rechte Licht zu rücken. In diesem Jahr macht sie auf der Schallaburg unter dem Titel "Wikinger!" halt. In Kooperation mit österreichischen Forschungseinrichtungen entstand eine multimediale Schau mit etwa 500 Exponaten, die sich in effektvollem Ausstellungsdesign über 24 Säle erstreckt.

Auf "viking" gehen

Die Mythenzerstörung beginnt schon im ersten Saal, in dem am Begriff des Wikingers und der ihm zugeschriebenen Zeitspanne gemäkelt wird. Denn die sogenannte "Wikingerzeit" von 793 (Überfall auf das nordenglische Kloster Lindisfarne) bis 1066 (Schlacht bei Hastings) ist eine Erfindung des 19. Jahrhunderts, als man nach nationalen Gründungsmythen suchte. Auch mit der Bezeichnung Wikinger hätte die Mehrheit der alten Skandinavier keine Freude gehabt. Der Sammelbegriff entstand erst in der Neuzeit und geht zurück auf das altnordische Wort "viking", das sich gelegentlich auf Runensteinen findet. Wikinger war man eigentlich nur dann, wenn man "auf viking" ging, das heißt, sich auf Handelsfahrt oder Raubzug begab.

Die meisten Skandinavier lebten aber von Landwirtschaft und Fischfang im dörflichen Familienverband, hörten vom wilden Treiben der Wikinger allenfalls Geschichten und fürchteten sich zuweilen selbst vor ihnen. Ein Volk oder eine bestimmte Ethnie waren die Wikinger nicht, denn in der heutigen Region Dänemarks, Norwegens und Schwedens lebten ganz unterschiedliche Kulturen mit Einflüssen aus aller Welt. Dafür sorgte nicht zuletzt ihr reger Handel mit Sklaven.

Sie bildeten neben Adeligen und freien Bauern die dritte Schicht der skandinavischen Gesellschaftsstruktur, die sozial durchlässig war. Mit der richtigen Heirat konnte man seine Stellung verbessern. Frauen hatten im Vergleich zu den Gesellschaften Mitteleuropas eine geradezu moderne Position: Auch sie konnten "auf viking" gehen, entschieden über Haus und Hof und durften sich bei triftigen Gründen sogar scheiden lassen. Das konnte nur funktionieren, weil die Ehepartner auch nach der Heirat in ihren Herkunftsfamilien verwurzelt blieben und damit eine Rückversicherung hatten.

Frauen hatten mitzureden

Das Bild der starken Wikingerfrau hängt aber auch mit den mythologischen Erzählungen (Walküren) und Berichten aus den mittelalterlichen Isländersagas zusammen. Über Freydis Eriksdóttir etwa, eine Halbschwester des Amerika-Siedlers Leif Eriksson, existieren besonders wilde Geschichten. So habe sie Angreifer auf Vinland vertrieben, indem sie mit dem Schwert auf ihre blanken Brüste schlug. Wie viel erotische Fantasie des Verfassers in die Geschichte eingeflossen ist, weiß man nicht, klar ist: Frauen waren respektiert und hatten mitzureden.

In der Ausstellung zu sehen sind Schlüssel, die von den Frauen als Symbol häuslicher Macht um den Hals getragen wurden. Bei der Darstellung des Wikingerhauses, wie bei fast allen anderen Rekonstruktionen, griffen die Ausstellungsmacher auf transparentes Plexiglas zurück. Das mag seltsam wirken, ist aber der richtige Weg, um sich auch beim Ausstellungsdesign von der problematischen Wikingerforschung des 19. und 20. Jahrhunderts abzuheben.

Bei ihren Häusern verzichteten die Skandinavier bewusst auf den Rauchfang, denn der Rauch, der sich unter der Decke sammelte, sollte das Gebäude konservieren und Schädlinge bekämpfen. Durch Windlöcher an den Wänden konnte der überschüssige Rauch entweichen. Das englische Wort "window" erinnert uns noch heute daran. Aber auch im Deutschen finden sich Spuren, etwa bei den Wochentagen, die auf nordische Götter wie Thor/Donar (Donnerstag) zurückgehen.

Mythenkino und Thorshämmer

Die Göttererzählungen und die Sprache der Nordländer lassen sich multimedial erfahren. Im Mythenkino blickt man auf Sitzsäcken liegend in den Sternenhimmel mit Projektionen und lauscht Erzählungen aus der Edda. Am Lagerfeuer bekommt man eine Hörprobe vom Altnordischen, das sich klanglich zwischen steirischem Bellen und Tiroler "kch" einpendelt. Die meisten Originalexponate sind Gegenstände der Schmiedekunst: Speerspitzen, Äxte, Waagen für den begehrten Silberhandel, aber auch ein Arsenal an Dingen zur Körperpflege: Kämme, Pinzetten und Ohrlöffel, die das Trugbild vom verwilderten Nordmann zerstören. Berichten ist gar zu entnehmen, englische Frauen hätten die gepflegteren Wikinger ihren einheimischen Männern vorgezogen.

Besonders spannend sind jene Gegenstände, in denen sich die über Jahrhunderte hinziehende Christianisierung Skandinaviens abbildet und mit nordischen Einflüssen vermischt. Da werden aus Thorshämmern allmählich Kreuze, Christus tritt als einer von vielen Göttern an die Seite Odins oder als prächtiger Hirsch in Erscheinung. Der aufwendigen Feuerbestattung der Wikinger, bei der Mächtige oft mit Schiff verbrannt wurden, machte das Christentum ein Ende. Es blieb die Angst vor Untoten, weswegen meist nur verbogene Schwerter als Grabbeigabe infrage kamen.

Richard Wagners Hörnerhelm

Garantiert nie beigelegt wurde jener stereotype Hörnerhelm, der noch heute nahezu jede populäre Wikingerdarstellung ziert. Er geht zurück auf Fantasien der Romantiker und vor allem auf Richard Wagner, der in seinem Opernzyklus "Ring des Nibelungen" den Bösewicht Hunding mit gehörntem Helm auftreten ließ. Das auf der Bühne effektvolle Detail hätte im Kampf womöglich den schnellen Tod bedeutet. Denn ein schwerer Hieb auf das abstehende Horn hätte auch das stärkste Wikingergenick gebrochen. Die Ausstellung behandelt diesen Mythos klug: mit Rückgriff auf Platons Höhlengleichnis. Hörner und Helm, getrennt voneinander, fügen sich erst als Schatten an der Wand zum Trugbild.

Und Wickie? In einem Video kommt neben Tolkien, Sportvereinen, Metalbands und anderen, die Anleihen am Wikingerkult nehmen, auch der kleine Zeichentrickstar vor. Seinen älteren Fans empfiehlt sich heute übrigens die TV-Serie "Vikings" (2012). Die ist zwar nicht jugendfrei, aber wenigstens hornlos. (Stefan Weiss, DER STANDARD, Langfassung, 2.4.2015)