3-D-Scans der Gesichter chinesischer Testpersonen: Die Größe der Lippen oder der Nase gibt Aufschluss über das biologische Alter.

Illu.: Chen et al./ Cell Research

Schanghai/Wien – Das menschliche Alter errechnet sich nicht nur aus der Zahl der gelebten Jahre und Monate. Die Zellen unseres Körpers altern nach eigenen Uhren, die bei menchen schneller, bei anderen langsamer ticken als die richtigen Uhren. Die Gründe für diese Abweichungen können in den Genen aber auch in Umwelteinflüssen liegen. Manchmal drehen Personen auch selbst die biologische Uhr nach vorne – etwa durch Rauchen oder übermäßigen Alkoholkonsum.

Das sogenannte "biologische Alter" gibt darüber Aufschluss, wie viele Jahre auf zellulärer Ebene tatsächlich vergangen sind. Als Begriff hat es längst Eingang in die Populärmedizin gefunden, doch es zu bestimmen, ist nicht ganz einfach.

Ablesen lässt es sich unter anderem an der Länge der Telomere, den Enden unserer Chromosomen. Je kürzer sie sind, desto fehleranfälliger werden die Zellen bei der Teilung. Ein anderer guter Indikator sind aber auch bestimmte Blutwerte, die ebenfalls Auskunft über den Alterszustand geben.

Biologische Uhr im Gesicht

Gibt es noch andere, leichter messbare Hinweise darauf, wie alt wir biologisch sind? Lässt es sich womöglich in unseren Gesichtern erkennen? Forscher um Weiyang Chen vom Labor für Bioinformatik der Chinesischen Akademie der Wissenschaften in Schanghai sind diesen Fragen in einer aufwendigen Studie nachgegangen – und wurden fündig: Anhand der Gesichtszüge von 332 chinesischen Männern und Frauen identifizierten sie Indikatoren dafür, wie viel Zeit auf der biologischen Uhr bereits abgelaufen ist.

Im ersten Schritt erzeugten die Wissenschafter mit einem 3D-Scanner ein dreidimensionales Gesichtsmodell ihrer Probanden, die zwischen 17 und 77 Jahre alt waren. Auf Basis dieser Aufnahmen entwickelten sie eine Karte der Altersmerkmale, für die sie insgesamt mehr als 30.000 Faktoren berücksichtigten. Zehn Parameter erwiesen sich dabei als besonders aufschlussreich, wie die Forscher im Fachblatt "Cell Research" schreiben.

Zumindest bei asiatischen Gesichtern verläuft der anhand dieser Indikatoren ermittelte Alterungsprozess gleich: Im Laufe der Jahre rücken die Augen näher zusammen, gleichzeitig sinken die Augenwinkel nach unten. Aber auch der Abstand von Mund und Nase, die Lage der Augenwinkel, die Dicke der Lippen und der Wangen wachsen über die gesamte Lebensspanne weiter und geben Aufschluss über das Alter.

Aus den Daten der Gesichtsscans erstellten die Forscher in Folge ein Prognosemodell. Damit verglichen sie das tatsächliche Alter der Testpersonen (also dem nach Geburtsjahr) mit dem "Gesichtsalter". Dabei zeigte sich, dass die Zahlen bereits um bis zu sechs Jahre voneinander abweichen können, bevor die Person das vierzigste Lebensjahr erreicht hat. Danach ging die Schere zwischen tatsächlichem Lebensalter und biologischem Alter noch sehr viel weiter auf.

Altersindikatoren im Blut

Im nächsten Schritt verglichen die Forscher schließlich noch das ermittelte Gesichtsalter der Personen mit deren Blutwerten, die ebenfalls eindeutige Altersindikatoren aufweisen. Denn auch der Gehalt an Gesamtcholesterin, an HDL- und LDL-Cholesterin oder Albumin verändern sich mit dem Alter auf charakteristische Weise. Tatsächlich wiesen Testpersonen mit biologisch jüngeren Gesichtern auch "jugendlichere" Blutwerte auf.

Die chinesischen Forscher halten das Gesicht freilich für den verlässlicheren Marker für biologisches Alter: Während Blutmerkmale für Frauen und Männer unterschiedlich gute Vorhersagen lieferten, zeigt sich bei der Altersbestimmung mittels Gesicht keine Differenz zwischen den Geschlechtern. Ko-Jing-Dong Han, einer der Ko-Autoren der Studie, zeigt ist von den Studienergebnissen so überzeugt, dass er an einer App zur Gesichtsalterbestimmung arbeiten will. Diese App soll in Arztpraxen mit 3D-Scannern zum Einsatz kommen und vor vorzeitiger Alterung warnen.

Offen bleibt allerdings die Frage, ob Nicht-Asiaten das biologische Alter in gleicher Weise ins Gesicht geschrieben steht wie den chinesischen Probanden. (Marlis Stubenvoll, DER STANDARD, 4./5./6.4.2015)