Es gibt weltweit eine Handvoll Orte, von denen man üblicherweise vermeint beinahe alles zu kennen, so vertraut sind einem die Straßen und Gebäude, Brücken und Kathedralen aus Filmen, aus Dokumentationen oder aus eigener Erfahrung. New York zählt hierzu, selbstverständlich Paris, "la serenissima" Venedig, und auch Rom. Dass dieses Vorurteil, zumindest punkto Rom, nicht stimmt, führt uns Christina Höfferer in ihrer Lesereise Rom vor Augen. Die langjährige in der italienischen Hauptstadt verortete Korrespondentin des ORF entführt in ihren Reportagen an verwunschene Piazzi, an unbekannte Orte im Vatikan, zu Katakomben, an Notschlafstellen der Roma und Sinti, und verrät als Geheimtipp das beste Caffè, wo die "granita di caffè" noch nach einer aus der Antike stammenden Rezeptur zubereitet wird: das Caffè Sant'Eustachio, beschützt vom Geweih des Hubertushirsches, in dessen Gestalt Jesus dem Heiligen im 8. Jahrhundert erschienen sein soll.

Höfferer erkundet zudem die politischen Dimensionen der vatikanischen Archive, irrtümlich als Geheimarchiv des Pontifex maximus firmierend - in Wahrheit bedeutet "segreto" nichts anderes als den aus der Renaissance stammenden Terminus des Privatarchivs -, erkundet die gesellschaftliche Relevanz der Restaurants und Salons, der Herren (und Damen) Senatoren, und führt an Originalschauplätze Federico Fellinis (etwa Adresse und Geschichte des Studio Bernhard in der Via Gregoriana, wo Fellinis psychoanalytische Sitzungen Basis von 8 1/2 waren) und Signora Bachmanns zwischen Ostia und Via Appia. Zur Umsetzung des Projekts "La casa di Ingeborg Bachmann" erhielt sie übrigens ein Goethe-Stipendium.

Kurzweilig und amüsant (wie gewohnt in der stets sorgfältig edierten Serie der Lesereisen des Picus-Verlags), abseits ausgetretener Trampelpfade, fern verbaler Allgemeinplätze erfährt man hier, wie man Rom mit dem Rad queren kann, ohne im Trubel des Verkehrs unter die Räder zu kommen, und wie man den Massen entkommen kann. Und Höfferers Zeilen helfen dabei, dennoch hinter die Seele der "Ewigen Stadt" zu kommen. Grazie! (Gregor Auenhammer, DER STANDARD, 1.4.2015)