Verbauung, Wasserverschmutzung und Überfischung setzen den bis zu 150 Zentimeter langen Huchen weltweit zu. In mehreren Balkanflüssen gibt es allerdings noch eine beachtliche Population, die sich selbst erhält. Auf diesem Bild ist ein Paar laichender Huchen zu sehen.

Foto: Clemens Ratschan

Graz - Ihre Namen klingen in unseren Ohren exotisch: Vrbas, Lim, Tara, Kolpa. Getragen werden sie von Flüssen in den Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien. Viele dieser Gewässer schlängeln sich noch immer als wilde Naturparadiese durch Schluchten und Täler. "Sie sind nicht reguliert. Das fällt einem sofort auf, wenn man nach Süden fährt", schwärmt der Biologe Steven Weiss von der Universität Graz. Zwar seien in einigen Regionen während der Bürgerkriegswirren die Fischbestände dezimiert worden, aber diese erholen sich wieder. Im Kern jedoch blieben viele Flüsse ökologisch intakt. Ein Erbe von stark unterschätztem Wert.

Größter Süßwasserfisch

Ein wesentlicher Anteil der Balkangewässer liegt im Einzugsgebiet der Donau, und somit im Reich von Hucho hucho, dem Huchen. Mit einer maximalen Länge von 150 Zentimetern und einem Gewicht von mehr als 50 Kilo ist er einer der größten Süßwasserfische Europas. Seine ursprüngliche Heimat reicht von der oberen Donau bei Ulm bis in deren weit verzweigte Nebenflüsse in Rumänien und der westlichen Ukraine. Die Moderne hat dem Huchen gleichwohl schwer zugesetzt. Vielerorts ist er komplett verschwunden oder nur noch in isolierten Restvorkommen vorhanden.

Im süddeutschen Raum und in Österreich werden die Populationen fast überall künstlich aufgestockt. Hierzulande lebt der größte sich selbstständig fortpflanzende Bestand in der freifließenden Mur-Strecke stromaufwärts von Graz. Dort leben rund 1500 erwachsene Exemplare.

Die Präsenz von Hucho hucho auf dem westlichen Balkan war Experten schon lange bekannt. Wie es dort heute allerdings um Raubfische steht, wusste man nicht genau. Und das sollte sich ändern. Im Mai 2014 trafen sich 18 Wissenschafter aus Bosnien-Herzegowina, Deutschland, Kroatien, Montenegro, Österreich, Serbien und Slowenien in der ökologischen Station der Universität Zagreb zu einem dreitägigen Arbeitstreffen. Auch Weiss war beteiligt. Er und seine Kollegen begannen, sämtliche vorhandenen Informationen über die Verbreitung des Huchens in der Region zusammenzutragen und zu vergleichen.

Das durchaus erfreuliche Ergebnis dieser Studie liegt nun vor. Offenbar gibt es in mehreren Balkanflüssen noch beachtliche, sich selbst erhaltende Huchenpopulationen. Insgesamt bewohnen diese Bestände 1842 Kilometer Fließstrecke. Das ehemals jugoslawische Territorium beherbergt somit das größte Vorkommen von Huchen in Europa - und weltweit.

Es gibt verschiedene Ursachen für das Verschwinden der Huchen aus weiten Bereichen ihres Verbreitungsgebiets - worin sich diese aber gleichen, ist, dass sie alle menschengemacht sind. "Historisch gesehen hatten Wasserverschmutzung und Überfischung großen Einfluss", sagt Weiss.

Später spielte die Gewässerverbauung eine immer stärkere Rolle. Und sie tut dies noch heute. Wo Fließgewässer zu kanalisierten Rinnen degradiert werden, gehen viele ökologisch wichtige Strukturelemente verloren. Seichte Uferbereiche, Kiesbänke, strömungsarme Buchten, tiefe Gumpen und Altarme: Sie alle dienen Fischen als Lebensräume. Nicht nur den Huchen. Doch der reagiert offenbar besonders sensibel auf Habitatzerstörung. "Er ist der Topprädator der Flüsse", sagt Weiss. An der Spitze der Nahrungspyramide kann es schnell heikel werden, wenn weiter unten das Fundament bröckelt.

Verbauung als Bedrohung

Verbauung beeinträchtigt die Flossenträger in unterschiedlichen Lebensphasen. In einem ausgeräumten Flussbett mangelt es an Schlupfwinkeln, Ruhezonen, Laichplätzen, Kinderstuben für den Nachwuchs sowie Jagdrevieren. Staudämme blockieren zudem Fischwanderwege, und sie verwandeln ganze Strecken in seeartige Bereiche, deren Boden zur Verschlammung neigt. Das ganze Ökosystem gerät in Umbruch. Hucho hucho findet keine geeigneten Kiesflächen zur Eiablage und oft auch nicht genügend Futterfische. Letzteres trifft übrigens auch auf die ganz jungen Exemplare zu. Schon kurz nach dem Schlüpfen machen Kleinhuchen Jagd auf andere Fischbrut.

Aus gutem Grund, denn ihr Nahrungsbedarf ist enorm, sagt Weiss. "Sie haben irrsinnig schnelle Wachstumsraten." In freier Wildbahn können die Jungfische am Ende ihres ersten Lebensjahres schon eine Länge von 20 Zentimetern erreichen.

Auf dem Balkan entfalten die Huchenpopulationen offenbar noch ihre natürliche Dynamik. Zumindest in einer beachtlichen Anzahl von Flüssen. Leider jedoch sind auch diese Refugien bedroht. Das internationale Expertenteam hat überdies ermittelt, welche Pläne für die Konstruktion von Wasserkraftanlagen in den besagten Gewässern vorliegen.

Ökologischer Albtraum

Die Auflistung offenbart Erschreckendes. Derzeit ist der Bau von insgesamt 93 großen und kleineren Staudämmen vorgesehen. Sie würden rund 1000 Kilometer Huchen-Flussstrecken zerstören. Ein ökologischer Albtraum.

"Die tatsächliche Tragweite solcher Maßnahmen ist kaum zu vermitteln", sagt Weiss. Gemeinsam mit seinen Kollegen und der Naturschutzorganisation RiverWatch fordert der Biologe deshalb einen kompletten Baustopp für Dämme und Wasserkraftwerke in Huchen-Habitaten. Die Art sei schließlich laut EU-Natura-2000-Richtlinie zu schützen.

Andere, meist stromabwärts gelegene Strecken sollten zudem renaturiert werden. Die stark verschmutzte Bosna zum Beispiel hätte durchaus das Potenzial für eine Wiederbesiedlung durch abwandernde Huchen aus den Nebenflüssen. Solche Migrationsbewegungen würden auch den genetischen Austausch zwischen Teilpopulationen begünstigen.

Für die Fachleute spielt Hucho hucho eine ähnliche Rolle wie der Tiger in asiatischen Naturgebieten. Von seinem Erhalt profitieren auch zahlreiche andere, zum Teil noch sensiblere Arten. Und die intakten Flüsse locken zunehmend Touristen an, wie Weiss berichtet. Den Bewohnern dünn besiedelter Balkanregionen biete dies eine interessante Perspektive. "Wenn man den Huchen schützt, schützt man das ganze System." (Kurt de Swaaf, DER STANDARD, 1.4.2015)