Für seine Verhältnisse fast schon Übergepäck: Ein zwölf Gramm schwerer Kappen-Waldsänger mit einem ein Gramm schweren Geolokator am Rücken.

Foto: Vermont Center for Ecostudies

Boston - Albatrosse und Sturmvögel sind für solche Reisen gemacht - aber ein kleiner Singvogel? Trotz eines Körpergewichts um die zwölf Gramm flattert der Kappen-Waldsänger (Setophaga striata) im Herbst von Nord- nach Südamerika nonstop über den Atlantik. In zwei bis drei Tagen legen die Singvögel dabei zum Teil eine Strecke von mehr als 2.500 Kilometern zurück, berichtete ein internationales Forscherteam in den "Biology Letters".

Die maximal 15 Zentimeter großen Vögel verbringen den Sommer in den Wäldern Nordamerikas und überwintern im nördlichen Südamerika. Schon seit mehr als 50 Jahren vermuten Experten, dass die Vögel dorthin auf dem kürzesten Weg fliegen - mitten über den Atlantik. Bewiesen war das aber bisher nicht. Ein Flug über das offene Meer scheint auf den ersten Blick ein ziemlich merkwürdiges Verhalten für einen kleinen Landvogel zu sein, der sich am liebsten im Schutz von Sträuchern und Bäumen bewegt und für den eine Landung auf dem Wasser tödlich wäre.

Aufklärung mit neuer Methode

Dass die kleinen Vögel die gefährliche Reise tatsächlich wagen, belegten Forscher um William DeLuca von der University of Massachusetts nun mithilfe von sogenannten Helldunkel-Geolokatoren, wie in den "Biology Letters" der britischen Royal Society berichtet wurde. Diese kleinen Geräte besitzen eine Photozelle, welche die Lichtstärke über den Verlauf des Tages misst.

Kennt man den Zeitpunkt des Mittags und die Länge des Tages, kann man auf die geografische Position zurückschließen, da diese mit dem Längen- und Breitengrad in Zusammenhang steht. Lichtdunkel-Geolokatoren sind nur etwa ein Gramm schwer und damit wesentlich leichter als herkömmliche Satellitensender; selbst der Kappen-Waldsänger kann dieses Gewicht tragen.

Insgesamt befestigten die Wissenschafter solche Geolokatoren an 37 Vögeln, die sie in Kanada beziehungsweise im Bundesstaat Vermont der USA gefangen hatten, bevor sich die Tiere im Herbst auf die Reise gen Süden machten. Fünf Geolokatoren konnten sie im darauffolgenden Frühjahr wieder einsammeln, als die Vögel in ihr Sommerquartier zurückkehrt waren. Die Datenauswertung belegte zweifelsfrei, dass die Vögel über den Atlantik fliegen, schreiben die Forscher.

Die gewählten Routen

Vier der Vögel seien in Neuschottland aufgebrochen und auf der Insel Hispaniola beziehungsweise auf Puerto Rico angelandet. Ihre Flugstrecke habe zwischen 2.270 und 2.770 Kilometern betragen, sie benötigten dafür zwischen 49 und 73 Stunden. Die Fluggeschwindigkeit lag der Studie zufolge damit zwischen 10,7 und 13,4 Metern pro Sekunde. Der fünfte Vogel startete am Kap Hatteras an der Ostküste der Vereinigten Staaten und landete 18 Stunden später auf den Turks- und Caicosinseln. Er war vermutlich 1.500 Kilometer über offenen Meer mit gut 23 Metern pro Sekunde geflogen.

Vor dem Start füllten die Vögel ihre Fettspeicher, erläuterte Studienleiter Ryan Norris von der kanadischen University of Guelph. "Sie fressen so viel wie möglich, manchmal verdoppeln sie ihren Körperfettanteil, so dass sie fliegen können, ohne fressen oder trinken zu müssen. Es ist eine Flieg-oder Stirb-Reise, die so viel Energie erfordert."

Vermutlich nehmen nicht alle Vögel den Meerweg Richtung Süden. In schlechter körperlicher Verfassung oder bei schlechter Witterung wählten einige den Landweg. Warum trotzdem viele der kleinen Singvögel die gefährliche Reise über das Meer wagten, sei nach wie vor unklar, schreiben die Forscher. Die Wanderungen seien die risikoreichsten Zeiten im Jahr eines Singvogels - vielleicht sei es sinnvoll, sie so schnell wie möglich hinter sich zu bringen. (APA/red, derStandard.at, 1.4. 2015)