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Bei der Geburt sind männliche Babys leicht in der Überzahl. Wie aber ist das Geschlechterverhältnis gleich nach der Empfängnis? Erstaunlich ausgeglichen, behaupten US-Forscher in einer neuen Studie.

Foto: AP Photo/Wally Santana

Verlaufskurven des Geschlechterverhältnisses im Mutterleib: ART steht für künstlich befruchtete Embryonen, ALL steht für alle Embryonen und NORMAL nur für die mit normalen Chromosomen. CVS sind Daten aus Chorionzottenbiopsien, ABORTION jene aus Abtreibungen, AMINO aus Fruchtwasseruntersuchungen. FND steht schließlich für das Geschlechterverhältnis von Lebendgeburten und toten Föten auf Basis der US-Volkszählungen.

Grafik: PNAS

Cambridge/Wien - Die Verteilung der Geschlechter beim Homo sapiens ist alles andere als trivial. In Österreich kommen auf 1000 Frauen 955 Männer, was in erster Linie daran liegt, dass die Männer früher sterben. Bei der Geburt allerdings gibt es einen eindeutigen Männerüberschuss: Auf 1000 weibliche Säuglinge kamen 2013 in Österreich 1067 männliche. Dieser Männerüberschuss schlägt ab einem Alter von rund 57 Jahren in einen Frauenüberschuss um.

Warum aber kommen mehr Buben als Mädchen zur Welt? Darüber wird seit Jahrhunderten geforscht und diskutiert. Denn auch diese Frage ist einigermaßen komplex, zumal zumindest bei etlichen Tierarten nicht nur genetische, sondern auch Umweltfaktoren eine wichtige Rolle dabei spielen, ob der Nachwuchs nun männlich wird oder weiblich.

Eine solche Theorie vertrat vor 100 Jahren auch der österreichische Biologe Paul Kammerer: Er ging davon aus, dass in Krisenzeiten mehr Buben geboren würden, weil sie quasi ein "Mangelprodukt" seien. Neue Untersuchungen freilich kamen genau zum gegenteiligen Schluss: Während und nach der großen Hungersnot in China zwischen 1959 und 1961, die 30 Millionen Tote forderte, wurden eindeutig mehr Mädchen geboren als sonst. Ob bei Hunger zu Beginn der Schwangerschaft mehr weibliche Embryonen entstehen oder ob im Lauf der Schwangerschaft bei Hunger männliche Embryonen seltener überleben, ging aus den Daten allerdings nicht hervor.

Das führt letztlich zur Frage, wie die Geschlechterverteilung unmittelbar nach der Zeugung ist, das sogenannte primäre Geschlechterverhältnis. In Lehrbüchern (und auch bei Wikipedia) findet sich der Hinweis, dass mehr männliche Embryonen entstehen würden, da die leichteren männlichen Y-Spermien beim Wettlauf zur Eizelle einen Vorteil hätten: Auf zehn weibliche Embryonen würden demnach 13 bis 14 männliche kommen, die auch genetisch anfälliger seien.

Diese Lehrmeinung haben nun Forscher um Steven Orzack vom Fresh Pond Forschungsinstitut in Cambridge (Massachusetts) unter die Lupe genommen. Orzack und sein Team werteten bisher kaum zugängliche Daten zu Fehlgeburten und Abtreibungen ebenso aus wie Daten zu Embryos aus künstlichen Befruchtungen. Dazu kamen Daten aus pränatalen Tests (wie etwa Fruchtwasseruntersuchungen) sowie Statistikdaten zu Lebend- und Totgeburten in den USA.

Das Ergebnis war überraschend, wie die Forscher in den Proceedings der US-Akademie der Wissenschaft (PNAS) berichten. Laut ihren Daten ist das primäre Geschlechterverhältnis nämlich genau 50 zu 50. Allerdings seien mehr männliche Embryos genetisch auffällig, sodass in der ersten Woche nach der Befruchtung mehr männliche Embryos abgehen würden. In den nächsten zehn bis 15 Wochen übersteige dann jedoch die Zahl der weiblichen Abgänge jene der männlichen, bis gegen Ende der Schwangerschaft wieder mehr Buben sterben als Mädchen.

Insgesamt überleben demnach mehr männliche Embryos die gesamte Schwangerschaft, was zu der leicht höheren männlichen Geburtenrate führe. (Klaus Taschwer, DER STANDARD, 31.3.2015)