Für den Wiener Neustädter Gemeinderat Matija Tunjic (23) "stellt sich die Frage, inwiefern die Grünen pragmatischer werden, wenn es um Regierungsbeteiligungen geht".

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STANDARD: Senol Akkiliç ist von den Wiener Grünen zur SPÖ übergetreten, Sie haben die Grünen Wiener Neustadt verlassen und angekündigt, mit der SPÖ in Wiener Neustadt zu kooperieren ...

Tunjic: Inhaltlich sind das komplett unterschiedliche Konstellationen. In Wien stehen die Wahlen erst an, bei uns haben sich die Turbulenzen nach den Wahlen abgespielt. Der Kollege Akkiliç ist nicht auf den Listenrang gewählt worden, auf den er wollte. Bei mir war das auch anders. Ich habe leider nicht durchschaut, was tatsächlich seine Motivation ist, und daher tut sich bei mir – wie bei vielen – das Bild auf, dass es wegen eines beruflichen Bonus geschah, aber mehr kann ich dazu nicht sagen. Ich kenne ihn nicht persönlich.

STANDARD: Ist die SPÖ eine Alternative bzw. die einzige Alternative für abtrünnige Grüne?

Tunjic: Es gibt keine Alternative, wenn man Grünen-Politik betreiben möchte. Gerade was Umweltschutz und moderne Verkehrspolitik angeht, sind die Grünen die einzige Partei, wo man sich dafür einbringen kann. Natürlich gibt es im Sozialbereich und auch im Bildungsbereich viele Überschneidungen zwischen Rot und Grün. Aber ein Parteiwechsel ist für mich keine Option.

STANDARD: Sie haben in Wiener Neustadt Klaus Schneeberger (ÖVP) nicht zum Bürgermeister gewählt, um grüne Werte nicht zu verraten. Vor rund zwei Wochen sind Sie dann ausgestiegen. Wie passt das zusammen?

Tunjic: Ich bin aus der grünen Fraktion ausgetreten, weil meine Distanzierung damals sowohl von den Stadt- als auch von den Landesgrünen als Verrat angesehen wurde. Es kam sehr viel Druck von der obersten Spitze der Partei in Niederösterreich, dass ich das nicht tun soll und Schneeberger doch wählen soll. Das war für mich zu dem Zeitpunkt unvorstellbar. Zumal er die Stimme gar nicht gebraucht hat, um Bürgermeister zu werden.

STANDARD: Sie sind also ausgetreten?

Tunjic: Ich bin, nachdem ich mich dermaßen von den Grünen in Wiener Neustadt distanziert habe, von der Stadt- und von der Landespartei ausgeschlossen worden. Das bedaure ich. Aber ich interpretiere meine politischen Überzeugungen und meine Weltanschauung nicht durch eine Parteimitgliedschaft. Es stellt sich die Frage, inwiefern die Grünen pragmatischer werden, wenn es um Regierungsbeteiligungen geht, und inwiefern Überzeugungen und Werte über Bord geworfen werden, wenn es darum geht, das ein oder andere grüne Projekt durchzubringen. Ich war immer eher der Pragmatiker, aber die bunte Koalition war zu viel des Pragmatischen für mich und ein Verrat an dem, was wir vorher versprochen hatten: Wer uns wählt, der verhindert Blau in der Regierung. Was nutzt mir ein autofreier Hauptplatz, wenn da genauso ein Bettelverbot verhängt werden kann und vielleicht darunter eine Tiefgarage gebaut wird? Zwar wurde nicht direkt zwischen FPÖ und Grünen verhandelt, aber wenn die ÖVP zugleich mit den Grünen und den Blauen verhandelt, kommt das auf das Gleiche heraus. So eine Konstellation hat es auch in Neunkirchen von 2010 bis 2015 gegeben – aber in unauffälligerer Art und Weise.

STANDARD: Was war da anders?

Tunjic: Man war sich der medialen Wirksamkeit bewusst. Man hat keine gemeinsamen Pressekonferenzen gegeben und sich kein gemeinsames Logo verpasst. Es war Schwarz-Grün – und die Blauen haben es bei entscheidenden Abstimmungen unterstützt. Wiener Neustadt ist ein Novum, weil es anders kommuniziert wird. Am meisten Angst habe ich davor, dass die Kontrolle ausgehöhlt wird. Es ist skurril, dass man hartnäckig kontrollieren will, sich aber von der gleichen Partei, die man kontrolliert, inhaltliche Projekte und Zustimmung dazu wünscht. Das ist ein ganz, ganz krasser Widerspruch.

STANDARD: Sie kooperieren nun mit der SPÖ, die die letzten Jahre den Bürgermeister stellte und von Ihnen in der Zeit oft Kritik erntete. Kein Widerspruch?

Tunjic: Ich habe gesagt, dass ich weiterhin Oppositionspolitik betreiben werde und ich mich mit der derzeit einzigen Oppositionspartei, der SPÖ, in Bereichen, in denen wir miteinander können, absprechen werde. Das sind vor allem der Integrationsbereich und die Jugendpolitik. Die SPÖ stellt wegen des Proporzsystems zudem den Umweltstadtrat. Ich trete der SPÖ aber nicht bei und behalte meine eigene Abstimmungslinie.

STANDARD: Sie haben also vor, Gemeinderat zu bleiben?

Tunjic: Absolut. Was mich wirklich bestärkt hat, waren die Leute, die sich gemeldet haben, nachdem ich das durchgezogen habe, nicht für die bunte Koalition zu stimmen.

STANDARD: Tanja Windbüchler-Souschill, die für die Grünen in Wiener Neustadt die Verhandlungen mit der ÖVP geführt hat, hat stets betont, dass keine Koalition gebildet wurde und lediglich Vereinbarungen bestünden, ein" freies Spiel der Kräfte".

Tunjic: Es ist kein freies Spiel der Kräfte. Ein freies Spiel der Kräfte braucht keine Vereinbarungen, es braucht keine Garantieerklärungen für das Budget oder Sonstiges, und vor allem braucht ein freies Spiel der Kräfte keine inhaltlichen Abmachungen im Vorhinein. Jeder, der am Montag voriger Woche im Gemeinderat das Abstimmungsverhalten mitverfolgt hat, konnte sehen: Da gab es sehr wohl mehrere Punkte, bei denen die bunte Koalition gemeinsam gestimmt hat.

STANDARD: Denken Sie, dass sich die Grünen künftig öfter für solche Konstellationen wie in Wiener Neustadt hergeben?

Tunjic: Wiener Neustadt ist ein niederösterreichischer Präzedenzfall, und Niederösterreich war bei den Grünen schon immer etwas anders. Ich glaube, das bleibt ein Einzelfall. Wir sind dafür von allen Seiten gerügt worden. Die grüne Wählerschaft ist nicht nur auf Umweltpolitik aus, sondern sie will die ganze Palette. Daher eine klare Absage an Pragmatismus im Sinne von: Solange unsere Bäume gesund sind, ist alles okay. Das stimmt nicht. Es braucht mehr als das. Unser Auftrag ist ein viel größerer.

STANDARD: Man könnte einwenden, dass es auf Gemeindeebene mehr um Sachthemen als um ideologische Fragen geht.

Tunjic: Bei 20 Punkten, die im Gemeinderat behandelt werden, sind wahrscheinlich zehn hochideologisch. Zum Beispiel die Frage: Welchen Verein fördere ich? Die Frauenhäuser oder den Jagdverein? Wir sind alle Politiker, keine zufällig zusammengewürfelten Vertreter. Wir sind alle mit einer politischen Überzeugung zur Wahl angetreten und wurden dafür gewählt.

STANDARD: Sie sehen Ihre Zukunft aber nicht als Berufspolitiker?

Tunjic: Ich bin nicht des Berufs wegen in die Politik gegangen und plane nicht, beruflich in der Politik zu bleiben – sonst hätte ich das nicht machen können, dass ich mich dermaßen verselbstständige. Wenn ich eine Karriere bei den Grünen oder als Abgeordneter geplant hätte, hätte ich mich an eine Parteilinie halten müssen, die über meinen Kopf hinweg entschieden wurde. (Gudrun Springer, derStandard.at, 20.3.2015)