STANDARD: Hat der Wiener Bürgermeister schon angerufen?

Schalko: Bei mir? Warum? Es ist ja nicht der Wiener Bürgermeister, sondern eine fiktive Figur.

STANDARD: Es könnte sein, dass sich der reale Bürgermeister in der Figur des ziemlich gestörten Serien-Amtsträgers wiedererkennt.

Schalko: Ich glaube, dass der Herr Bürgermeister intelligent genug ist, fiktionale Erzählung von der Realität zu unterscheiden.

STANDARD: Was würden Sie sagen, wenn er doch anriefe?

Schalko: Ich würde ihn fragen, warum er anruft.

STANDARD: Sagt er: Frechheit, wie Sie mich darstellen!

Foto: ORF / Ingo Pertramer

Schalko: Dann würde ich ihn fragen, ob ich das nächste Mal auch anrufen darf, wenn mir etwas in der Politik nicht passt. Aber ist es wirklich wichtig, ob er sich gemeint fühlt?

STANDARD: Für ihn vielleicht schon.

Schalko: Da setzt doch sofort dieser österreichische Denunziationsreflex ein. Wer könnte mit was gemeint sein. Aber es geht um eine Mentalität. Natürlich gibt es Ähnlichkeiten zu lebenden Personen, und Anlehnungen. Aber was wir hier machen ist Fiktion.

STANDARD: Das Mediengetöse vor dem Start der Serie "Altes Geld" war doch beträchtlich. Ist Ihnen das Genuss oder Graus?

Schalko: Es hat Vor- und Nachteile. Das Getöse ist gut, wenn es um den Aufbau von Aufmerksamkeit geht. Es baut aber Erwartungshaltungen auf. Danach ist es schwierig, die Aufmerksamkeit dorthin zu lenken, worum es geht.

STANDARD: Sind Sie unter Druck?

Schalko: Unter Druck bin ich ständig, weil irgendwelche Erfolgs latten hoch gehängt werden.

Foto: ORF / Klaus Pichler

STANDARD: Der Verlag Jung und Jung schreibt, Sie seien "der Thomas Bernhard unserer Tage". Eine Latte zu hoch?

Schalko: Ein sehr großes Kompliment. Ich würde mich aber nicht mit ihm vergleichen. Meine Erzählform ist eine andere, und ich habe wenig mit seiner Person gemein. Die einzige Gemeinsamkeit ist, dass wir uns beide die Reibefläche Österreich ausgesucht haben, an der wir uns abarbeiten.

STANDARD: Was würde Thomas Bernhard an "Altes Geld" gefallen?

Schalko: Das Getöse wahrscheinlich. Gleichzeitig hätte es ihm nicht gefallen, weil es ihm Konkurrenz gemacht hätte. Ich glaube, da war er sehr empfindlich.

STANDARD: Bürgermeister, Handschuhe aus Menschenhaut, Inzest – "Altes Geld" zeigt dieses Land in einer Härte, wie es im Fernsehen kaum zu sehen war. Muss das sein?

Schalko: Die Serie zeigt gefühlskalte Menschen. Die sehe ich jeden Tag im Fernsehen und in der Realität. Warum soll ich das nicht verhandeln dürfen? Fernsehen soll nicht immer diese Bequemlichkeitshaltung einnehmen, sondern sehr wohl gesellschaftspolitische Aufgaben wahrnehmen.

STANDARD: Spielt die Quote eine Rolle für Sie?

Schalko: Sie spielt für die Medien eine Rolle. Qualität ist gleich Quote. Das ist bei Büchern genau dasselbe. Wenn die Quote nicht stimmt, wird das mit Scheitern gleichgesetzt.

STANDARD: Woran messen Sie Ihren Erfolg?

Schalko: In erster Linie, wenn ich das Gefühl habe, dass ich mich weiterentwickelt habe und dass mir etwas gelingt. Natürlich interessiert mich, wie viele Leute das anschauen, aber ich mache es nicht zum Mittelpunkt meines Denkens.

Foto: ORF / Klaus Pichler

STANDARD: Wie haben Sie sich bei "Altes Geld" weiterentwickelt?

Schalko: In der Erzählform. Die Sprache ist sehr verdichtet und Bilder mit der Musik untrennbar verwoben. Die Klavierstücke von Kyrre Kvam wirken atmosphärisch und kommentieren das Geschehen. Ich wollte eine entrückte Welt darstellen, die gleichzeitig real und nicht real wirkt.

STANDARD: Wie funktioniert das System David Schalko? Wo holen Sie Ideen?

Schalko: Meistens schimmern mehrere Ideen nebeneinander auf und fügen sich zu einem Skelett zusammen. In dem Fall war das eine Bilderwelt, die ich schon lange mit mir trage. Damit fängt die Reise an.

STANDARD: Dann hatten Sie für die Figur des Rauchensteiner Gert Voss schon im Auge?

Schalko: Nein, ich wusste sehr lang nicht, wer den Patriarchen spielen sollte. Es war die Idee von Nicholas Ofczarek, dass Gert Voss ihn spielen sollte.

Foto: ORF / Klaus Pichler

STANDARD: Doch es kam nur zu sehr wenigen Drehtagen.

Schalko: Sein Tod war eine menschliche Tragödie, dazu kam, dass wir ihn sehr schnell umbesetzen mussten.

STANDARD: Udo Kier konnte und wollte?

Schalko: Udo war unsere erste Idee. Mit ihm war es toll, weil er einen sehr guten Geist an den Set bringt. Für ihn war die Serie eine Herausforderung, weil es für ihn eine Herausforderung war, einen solchen Bogen zu erzählen und nicht in jeder Szene den "Udo-Kier-Moment" herzustellen.

STANDARD: Was ist ein "Udo-Kier-Moment"?

Schalko: Es gibt unterschiedliche Größen. Kleinere, wie ein bestimmter Blick, und größere, wie Udo in der SS-Uniform.

STANDARD: Gesellschaftskritik scheint im österreichischen Fernsehen nur über Satire zu gehen. Geht’s ohne Schmäh nicht?

Schalko: In Wahrheit gibt es nur einen musikalischen Unterschied zwischen Komödie und Tragödie. Das ist wie Moll und Dur. Die Tragödie sucht den tragischen Moment, die Komödie sucht im tragischen den komischen Moment.

STANDARD: Dazwischen gibt es das Drama. Fehlt das bei uns nicht?

Schalko: Die Tragödie fehlt, und zwar deshalb, weil Humor bei uns ausschließlich als Sicherheitsmantel verwendet wird, möglichst kein Risiko im Fernsehen einzugehen. Im Fernsehen fehlt manchmal der Mut, Sachen anzugreifen, die wahrhaftig sind und wehtun.

STANDARD: Wehgetan hat dem ORF offenbar auch Ihr Eintreten für mehr Geld vom ORF für den Film. Stört das die Atmosphäre?

Foto: ORF / Ingo Pertramer

Schalko: Diejenigen die mit mir zu tun haben, verstehen diese Forderung. In Wahrheit ist das eine Angelegenheit zwischen Medienminister und ORF. Die Nervosität hat sehr viel mit der ORF-Wahl nächstes Jahr zu tun.

STANDARD: Genau dann kommen Sie mit einem fiktiven Bürgermeister daher, der real die Serie förderte, im Herbst gewählt werden will und in der Frage des Generaldirektors ein gewichtiges Wort mitredet.

Schalko: Die Fördergelder sind nicht das persönliche Eigentum des Bürgermeisters. Genauso wenig wie den Parteien der Generaldirektor gehört. Wir haben uns an das Sugar-Daddy-Prinzip von Landeshauptleuten gewöhnt. Man geht zum König und holt ein Sackl Geld ab. Aber so ist das nicht. Wir leben in einer Demokratie, auch wenn es in Österreich oft nicht so ausschaut.

STANDARD: Die korrupt ist, bis in die kleinste Zelle, sagten Sie vor kurzem. Wo soll das hinführen?

Schalko: Irgendwann einmal, nachdem Karl-Heinz Grasser das fünfte Mal mit einem Lächeln aus einem Prozess hinausgeht und uns auslacht, entsteht eine Ohnmacht und die Wut sucht sich einen Platz. Es wird sich radikalisieren, das zeichnet sich ab.

STANDARD: Und wie geht’s bei Ihnen weiter?

Schalko: Ich werde mich nicht radikalisieren, dafür bin ich zu alt. (Doris Priesching, DER STANDARD, 28./29.3.2015)