Spätestens seit Occupy Wall Street machen sich auch die Allermächtigsten und Allerreichsten Sorgen, dass die extreme Ungleichverteilung von Geld, Besitz und Macht sie noch spürbarer bedrohen könnte als bloß ein paar Demonstranten, Konsumverweigerer, Aussteiger, ein paar Shitstorms im Netz.

Erstmals hat sich diese Liga im Mai des Vorjahres in London versammelt. Repräsentiertes Vermögen: Rund 30 Billionen Dollar, ein Drittel des geschätzten weltweit verfügbaren, anlagefähigen Einkommens. Thema: inklusiver Kapitalismus. Prominentester Mitveranstalter: Lynn Forester de Rothschild, CEO der E. L. Rothschild. Unter den Konferenzgästen IWF-Chefin Christine Lagarde nebst rund 250 Repräsentanten der mächtigsten Hebel quer durch die Größen des kapitalistischen Systems.

Unmoralisch?

Dass von dort Reden gegen "unmoralisches Verhalten", gegen das "Opfern sozialer Fragen auf dem Altar der Quartalsergebnisse", nebst Appellen, "das Allgemeinwohl über Privatinteressen zu stellen" an die Öffentlichkeit getragen wurden, kam in privaten Foren und Kommentaren bekanntlich nicht besonders gut an.

Tenor: Es gehe Wölfen in Schafspelzen um Profiterweiterung - das Potenzial sei ja auch noch groß: eine Milliarde Hungernde, über zwei Milliarden ohne Zugang zu Basishygiene und sauberem Wasser. Ein widerständiger Unglaube, dass die, welche als Problemverursacher und Profiteure angesehen werden, tatsächlich umsteuern wollen. Dass sie es könnten, wird weniger bezweifelt.

Zorn und Wut

Der Generalverdacht, dass "nachhaltig" in dieser Liga lediglich Nachhaltig-noch-mehr-Zusammenraffen heißt, ist nicht wegzubringen. Kein Wunder, denn seit all den Beschwörungen eines Paradigmenwechsels nach der Lehman-Pleite 2008 zeigen die Indikatoren noch konzentriertere Akkumulation der Vermögen an. Die eben nicht dafür eingesetzt werden, um den Planeten zu reparieren. Das macht bei parallel zunehmend prekärer Situation auf den entwickelten Arbeitsmärkten sehr zornig.

Dass vife Hedgefondsmanager, denen auch Nahrungsmittelspekulation zugeordnet wird, aus solcherlei Geschäften mit einem Stundenlohn von einer Million Dollar nach Hause (oder sonst wohin) gehen, bestärkt den Zorn: David Tepper etwa, Gründer und Chef des Appaloosa-Hedgefonds, vediente zuletzt laut Bericht des Institutional Investor Alpha 3,5 Milliarden Dollar. Sein Kollege Steven Cohen (SAC Capital Advisors) kam demnach auf 2,4 Milliarden Dollar. Da wirkt fast schon lächerlich, dass 2013 das Jahreseinkommen der großen US-Bosse auf den höchsten Stand seit der Krise geklettert ist. Oder dass DAX-Vorstände 2014 ein Einkommenshigh erlebten, die Chefs der großen US-Banken kaum unter 20 Mio. Dollar heim gehen. Willkommen, Prämie.

Und Österreich?

Wer sich da noch echauffiert, dass die Börsenbosse in Österreich abkassieren, wird von Gehaltsexperten gleich zurechtgewiesen: Mit durchschnittlich etwas über 1,5 Mio. Euro Jahresgage sei die Verhältnismäßigkeit in Ordnung. Und überhaupt: Geschäftsführer in Österreich verdienten im Vorjahr an die 184.000 Euro inklusive Bonus, wenn sie bis zu 300 Mitarbeiter haben, sagen die Berichte der Gehaltsexperten. Das durchschnittliche Bruttogehalt der Arbeitnehmer hierzulande liegt bei etwas über 37.300 Euro.

Da passe das Verhältnis auch, heißt es von Expertenseite. Arbeiterkammervertreter rücken von ihrer Forderung nach hartem gesetzlichem Deckel für Topgagen indes nicht ab.

So weit, so gut. Wäre da nicht ein Heer von hunderttausenden Erwerbstätigen, die nicht einmal 8,50 Euro die Stunde verdienen. Und würde sich nicht hinter der Statistik der im Europa-Vergleich überdurchschnittlich hohen Erwerbsquote von Frauen (über 70 Prozent in Österreich, rund 62 Prozent in der EU) die große Frage der Qualität der Einkommen verbergen: Handel und Tourismus sind führend bei Frauenbeschäftigung in atypischen Teilzeitverhältnissen und stehen so an der Spitze eines Heeres von Minijobbern.

Gender Pay-Gap

Das ergibt in der EU-Statistik ein großes Gefälle von Einkommen und Löhnen zwischen Männern und Frauen: fast 24 Prozent in Österreich. Das durchschnittliche jährliche Nettoeinkommen heimischer Frauen liegt unter 17.000 Euro. Rechnerisch arbeiten Frauen hierzulande 59 Tage im Jahr unentgeltlich. Eine gute Parole für Equal-Pay-Days, die in schöner Regelmäßigkeit vonseiten der Arbeitgeber relativiert wird. Man müsse ja Karenzen, Teilzeit etc. etc. rausrechnen. Gut. Bleiben aber immer noch durchschnittlich sechs Prozent Minderbezahlung übrig.

Interessant, dass auch der heimische Rechnungshof da nichts Schöneres für die bestbezahlten Bundesjobs vorlegen kann: Zuletzt betrug demnach das Durchschnittseinkommen weiblicher Vorstandsmitglieder oder Geschäftsführer in Bundesunternehmen 152.060 Euro oder 81 Prozent von dem Betrag, den ihre männlichen Kollegen in eben diesen Positionen erhalten.

Zum Trost: 2010 lag die Relation noch bei 64 Prozent. Und: Nur mehr 53 Spitzenmanager in diesem Bereich verdienen mehr als der Bundeskanzler mit rund 286.000 Euro Jahresgage.

Transparenz statt Gesetzesschranken

Apropos Limitierung der Manager-Einkommen zwecks Beruhigung all des Zorns: Die Schweizer haben eine Deckelung beim Zwölffachen der Durchschnittseinkommen abgelehnt. Rechnungshofpräsident Josef Moser will hierzulande auch lieber Transparenz statt Gesetzesschranken.

Transparenz vor allem in den Bereichen der Zusatzvergütungen und Benefits, also detailliertere Vergütungsberichte. Dass die neue Aktionärsrichtlinie Europas Vorständen das Fürchten lehren wird, glaubt Experte Stephan Nitzl (Partner in der Kanzlei DLA Piper Tess-Weissbach) nicht. Vorgesehen ist nun auch keine Deckelung, sondern verstärkte Begründung und Darstellung der Verhältnismäßigkeit. Inklusive langfristiger Wirkung auf das Unternehmen. "Viel Spielraum", so Nitzl. Und vermutlich noch kompliziertere Vergütungsberichte. Indes: Die Baustellen der Verteilungsfragen werden größer. (derstandard.at 2015, red)