Die Wiener Spitalsärzte bei der Demo gegen die neuen Arbeitszeitregelungen - nun wehrt sich auch die Ärztekammer gegen Vorwürfe der Politik

Foto: Christian Fischer

Wien - Die Ärztekammern wehren sich gegen Vorwürfe der Politik, im Zusammenhang mit dem Arbeitszeit-Konflikt der Spitalsärzte die Patienten zu verunsichern. In einem offenen Brief bezeichnen es der Präsident der Bundes-Ärztekammer, Artur Wechselberger, und die Präsidenten der neun Landeskammern als "nicht hilfreich", gegen die Ärzte diesen Vorwurf zu erheben, wenn sie "auf nachweisbare Fakten hinweisen". Die Ärztekammern beantworten damit einen offenen Brief, in dem mehrere Minister, führende Landespolitiker und Vertreter der Sozialversicherungen Wechselberger aufgerufen hatten, die Interessen der Ärzte "verantwortungsvoll" zu vertreten.

Gefühl der Gefahr

Mit ihren Warnungen vor Leistungseinschränkungen und Versorgungsengpässen würden die Ärzte den Menschen das Gefühl geben, dass das sehr gute Gesundheitssystem in Gefahr sei. Wechselberger und seine Landespräsidenten weisen das entschieden zurück: "Wir verwehren uns gegen Ermahnungen und Schuldzuweisungen öffentlicher Verantwortungsträger, die Frustrationen bei den ohnedies bis an die Grenzen des Möglichen arbeitenden Ärztinnen und Ärzten auslösen", schreiben die Ärztekammer-Vertreter in dem orliegenden Brief.

Realität ins Auge sehen

Der Vorwurf der Verunsicherung der Bevölkerung sei auch deshalb nicht zutreffend, weil sich die Ärzte "aus ihrer beruflichen Erfahrung und ihrer Verantwortung für die Versorgung der Bevölkerung zu Wort melden." "Es ist nicht nur das Recht, sondern die Pflicht einer ärztlichen Standesvertretung, auf drohende Leistungseinschränkungen und auf eine potenzielle Verschlechterung in der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung rechtzeitig hinzuweisen", beharrt die Spitze der Ärztekammer auf ihrer Kritik. "Für diesen Weg stand und steht die österreichische Ärzteschaft. Das setzt aber voraus, der Realität ins Auge zu sehen, kritikfähig zu sein und offen liegende Probleme nicht schön zu reden."

Spürbare Engpässe

Die Ärztekammer sieht sich "im Einklang mit der österreichischen Bevölkerung" und will "in deren Interesse auch in Zukunft an der Sicherung des hohen Standards der Versorgung konstruktiv mitarbeiten". Die Ärztekammer sehe es als gemeinsame Aufgabe mit der Politik, messbare Fakten objektiv zu bewerten und konstruktive Lösungen zu erarbeiten. Die Ärztekammer beharrt in dem Schreiben auch darauf, dass es bereits "spürbare Engpässe" gebe.

Dünne Personaldecke

Als Beispiele angeführt werden eine dünne Personaldecke, reformbedürftige Arbeitsbedingungen, die laufende Arbeitsverdichtung sowie zunehmende Wartezeiten für Patienten. Gleichzeitig räche sich jetzt der jahrelang verschleppte Ausbau des niedergelassenen Bereichs. "Die versäumte Anpassung der Kassenarztstellen an die demografischen Verhältnisse bringt es mit sich, dass die niedergelassenen Vertragsärztinnen und -ärzte die Betreuung der aus den Ambulanzen ausgelagerten Patientinnen und Patienten nicht zusätzlich übernehmen können."

Auch Forderungen von niedergelassene Ärzten

Gegen Deckelungen und Degressionen läuft die Ärztekammer im niedergelassenen Bereich Sturm. Die "willkürlichen Begrenzungen" bei der Verrechnung mit den Krankenkassen führten zu Engpässen in der Patientenversorgung, klagte Vizepräsident Johannes Steinhart in einer Pressekonferenz am Donnerstag.

Spitäler konzentrieren sich auf Kernaufgaben

Dies werde nun virulenter, weil die Spitäler sich auf ihren Kernbereich zurückziehen, meinte er. Steinhart nannte einige Beispiele. So können Allgemeinmediziner die "ausführliche diagnostisch-therapeutische Aussprache" nur in 18 Prozent der Fälle verrechnen, Gynäkologen die Anleitung zur Selbstuntersuchung der Brust in maximal 15 Prozent. "Es sind Beschränkungen gegeben, die dem Bedarf in keiner Weise entsprechen", so Steinhart.

Lange Wartezeiten

Ähnlich argumentierte Radiologen-Obmann Friedrich Vorbeck. Deckelungen seien für die Kassenpatienten außerordentlich nachteilig. Die Wartezeit auf eine Magnetresonanztomografie (MRT) betrage dadurch bis zu 12 Wochen. Dies führe direkt in die Zwei-Klassen-Medizin, denn wer 200 Euro hinlegen könne, bekomme die Untersuchung natürlich sofort. Betriebswirtschaftlich sei dies nicht anders möglich, argumentierte er, denn den Personal- und Gerätekosten stünden sonst keine Einnahmen gegenüber.

Strenge Vorgaben

Auch in der Physikalischen Medizin sind die Probleme groß, schilderte Fachgruppenobmann Friedrich Hartl. Seine Schalterkräfte benötigten bereits psychologische Supervision, um die Aggression der abgewiesenen Patienten zu ertragen. Schuld an all dem trage nicht die Sozialversicherung, unterstrich er, "die können nicht anders". Verantwortlich sei der Gesetzgeber bzw. die Vorgaben in der Bundeszielsteuerung. In Konkurrenz mit den - derzeit ebenfalls protestierenden - Spitalsärzten um die öffentlichen Geldtöpfe sieht Steinhart seine Kollegen in den Arztpraxen nicht. Klar sei aber: "Es werden mehr Patienten zum niedergelassenen Arzt kommen." Er ortet weitere Finanzierungsmöglichkeiten im Bereich der Kassen, ohne die Krankenversicherungsbeiträge zu erhöhen. Die Kapazitäten wären jedenfalls da, sollten Limitierungen fallen, meinte Vorbeck. Man könne jederzeit in der Nacht oder am Wochenende aufsperren, "aber natürlich müssen wir das bezahlt bekommen".

Hauptverband verteidigt Limitierungen

Der Hauptverband der Sozialversicherungsträger verteidigt die Leistungs-Deckelung im österreichischen Gesundheitssystem. Ausgabenbegrenzungen erfolgten im Auftrag des Gesetzgebers, sie seien fair und dienten der finanziellen Sicherung der medizinischen Versorgung, hieß es in einem Pressepapier, das im Vorfeld der Ärztekammer-Pressekonferenz am Donnerstag verteilt wurde. (APA, red 26.03.2015)