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Sogenannte Care-Tätigkeiten werden schlechter bezahlt.

Foto: dpa/Julian Stratenschulte

Was meiner Ansicht nach ein wichtiger Grund dafür ist, warum viel weniger Mädchen als Jungen sich für (gut bezahlte) Industrieberufe interessieren: Alles, was mit (vor allem industrieller) Produktion zu tun hat, ist nicht wirklich sichtbar als etwas, das zum guten Leben aller beiträgt, sondern es steht in dem Ruf, nur dem Profit und dem Kapitalismus zu dienen. Deshalb wählen Menschen, die bei der Berufswahl vor allem auf den Sinn ihrer Arbeit Wert legen und weniger auf Geld oder Status tendenziell die so genannten "helfenden" Berufe, also Krankenschwester, Erzieherin, Altenpflegerin und so weiter – mehr Frauen als Männer, aber natürlich nicht nur.

Sinnvolle Arbeit wird schlechter bezahlt

Dass das Problem dabei nicht dieser Wunsch nach sinnvoller Arbeit ist, sondern die systematische Niedrigerbezahlung dieser Berufe, haben Feministinnen schon immer betont, obwohl gerade wieder anlässlich des Equal-Pay-Days lauter Texte geschrieben werden, deren Tenor lautet: Der Gender-Pay-Gap ist doch keine Ungerechtigkeit, weil Frauen ja freiwillig in die niedriger bezahlten Berufe gehen. omg.

Es ist ja sowieso interessant, zu sehen, wie sich die Lohnhöhe für einzelne Berufe und Tätigkeiten bemisst, und es ist jedenfalls offensichtlich, dass sie allerhöchstens sehr lose etwas mit Leistung oder mit Verantwortung zu tun hat. Auch nicht unbedingt mit Ausbildung. Aber dafür ziemlich viel mit sozialem Status. Sicherlich sind es viele und komplexe Faktoren, die dazu führen, dass die eine Arbeit so und die andere so bezahlt wird, aber dieser Punkt scheint mir jedenfalls EIN Faktor zu sein: Der Sinn einer Arbeit steht in unserer derzeitigen symbolischen Ordnung quasi in einem umgekehrten Verhältnis zu ihrer Entschädigung – je sinnvoller eine Arbeit (offensichtlich) ist, umso weniger muss man dafür bezahlen, weil die Leute machen es ja wegen dem Sinn.

Dasselbe Argument habe ich bei einem früheren Equal-Pay-Day schon mal in puncto "Arbeit, die Spaß macht", kritisiert. Es gibt keinen vernünftigen Grund, eine Arbeit schlechter zu bezahlen (oder sich mit weniger Honorar zufriedenzugeben), bloß weil sie Spaß macht. Ebenso falsch ist das natürlich in Bezug auf "Arbeit, die sinnvoll ist". Gerade eine sinnvolle Arbeit ist doch mehr wert als eine sinnlose und sollte entsprechend auch besser bezahlt werden.

Woran bemisst es sich denn überhaupt, ob eine Arbeit sinnvoll ist?

An dieser Stelle möchte ich einen kritischen Blick darauf werfen, wie wir derzeit über "Care-Arbeit" diskutieren. Mit "Care-Arbeit" werden in der Regel die klassischen Fürsorgearbeiten bezeichnet, also Pflegen, Erziehen, Betreuen, Versorgen und so weiter, die teilweise privat in Haushalten, teilweise schlecht bezahlt in Institutionen, teilweise prekär in informellen Arbeitsverhältnissen geleistet werden.

Es war wichtig, diese Tätigkeiten zunächst erst einmal als "Arbeit" ins Bewusstsein zu holen – vor dem Feminismus galten sie irgendwie als etwas, für deren Erledigung die weibliche Natur mysteriöserweise von selbst sorgt. Erst durch ihre Sichtbarmachung seitens der Frauenbewegung können unbezahlte Care-Arbeiten heute als Teil der Volkswirtschaft, als Teil der Ökonomie gesehen werden (was freilich nicht heißt, dass das auch alle tatsächlich tun).

Ein problematisches Gegensatzpaar

Problematisch ist es aber, wenn nun erneut ein Gegensatzpaar entsteht, nämlich das zwischen "guter Care-Arbeit" und "böser Industriearbeit". Oder zumindest darf diese Unterscheidung nicht entlang der Art der Tätigkeiten gezogen werden. Ob eine Tätigkeit "Care" ist, also etwas, das "wirklich, wirklich sinnvoll" ist, bemisst sich nicht daran, welchen Inhalt diese Tätigkeit hat, sondern daran, in welchem "Geist" sie erledigt wird. Ist der Maßstab dabei das gute Leben aller, das, was die Allgemeinheit braucht und was gut für die Welt wäre? Das, was notwendig ist? Oder ist der Maßstab ein anderer, zum Beispiel, wie viel Profit sich herausschlagen lässt?

Jede Arbeit sollte "Care-Arbeit" sein

"Wirtschaft ist Care" hat Ina Praetorius ihr Buch zu dem Thema betitelt, das jetzt bei der Heinrich-Böll-Stiftung erschienen ist und kostenlos bestellt oder heruntergeladen werden kann. Die ganze Wirtschaft ist Care, nicht nur der Teil von ihr, der mit Helfen, Putzen, Pflegen, Erziehen und so weiter zu tun hat.

Von daher ist "Care" vielleicht weniger ein Substantiv als vielmehr ein Adjektiv. "Care-Arbeit" ist eigentlich ein Begriff für eine Übergangszeit. Denn "Care-Arbeiten" bezeichnen nicht ein bestimmtes Spektrum von Tätigkeiten, sondern sie bezeichnen eine Qualität, die dem Arbeiten zukommen müsste, aber ihm leider nicht immer zukommt. Jede Arbeit sollte "Care-Arbeit" sein.

Und ich wette, dann würde es auch besser mit den "Frauen in Männerberufen" klappen, aber das nur nebenbei. (Antje Schrupp, derStandard.at, 27.3.2015)