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Der Gepard gilt als eines der schnellsten Lebewesen der Welt - zu Unrecht. Gemessen an ihrer Körpergröße hängen ihn Mikroben deutlich ab: Sie bewegen sich 25 mal so schnell.

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Wien - Wenn in der modernen, technisierten Welt von Mobilität die Rede ist, geht es dabei meist um Verkehrssysteme und Transportlogistik. Doch "natürlich ist Mobilität keine Erfindung des Menschen, man sieht sie überall in der Natur", sagt Michael Wagner, Professor für Mikrobiologie der Universität Wien.

Bei Mobilität in der Natur denken die meisten zunächst an Geparden oder Falken. Zu Unrecht, sagt wiederum Wagner: "Die Mikroben haben die Mobilität erfunden." Und das bereits vor Milliarden Jahren.

Macht man einen Geschwindigkeitsvergleich mit fairem Maß, nicht in Kilometer pro Stunde - dies würde die Großen bevorzugen -, sondern gemessen an der Körpergröße, sind Mikroben mit 500 Körperlängen pro Sekunden die schnellsten Lebewesen der Welt - 25 mal so schnell wie Geparden.

Das Geheimnis hinter dem Rekord sind verschiedene Methoden wie eine Schiffsschraubentechnik, mit der sie sich durch Flüssigkeiten und entlang von Oberflächen schieben. Für die Fortbewegung an Oberflächen haben die Mikroben zudem Enterhaken, mit denen sie sich vorwärtsziehen.

Und so manchen Mechanismus in der Mikrobenmobilität hat der Mensch noch gar nicht verstanden, sagt Wagner - zum Beispiel wenn es um das Entlanggleiten in Flüssigkeiten geht.

Zentimeter wie Kilometer

"Für Bakterien ist Mobilität essenziell", sagt Wagner. Mit ihrer Größe von etwa einem Tausendstelmillimeter bewohnen sie Habitate, in denen es immer wieder passiert, dass sie für ihre Verhältnisse sehr weit deplatziert werden. "Wenn man ein Bakterium um einen Zentimeter versetzt, ist das, wie wenn man einen Menschen schlagartig um 20 Kilometer woanders hinwirft", sagt Wagner.

Dadurch ändern sich die Bedingungen für das Bakterium in wenigen Sekunden dramatisch. "Die einzige Möglichkeit, darauf zu reagieren, ist die Mobilität." Schnellstmöglich müssen die Bakterien zu Orten schwimmen können, die ihnen behagen. In ihrem Mobilitätsverhalten zeigen Bakterien auch, dass sie nicht "vollkommen autistische Einzeller sind, wie man oft denkt", sagt Wagner, sondern stetig mit anderen Bakterien kommunizieren. Durch die Aussendung von chemischen Substanzen können Bakterien messen, von wie vielen Artgenossen sie umgeben sind.

Die Populationsgröße entscheidet etwa, ob ein Wirt angegriffen wird, und auch die Mobilität wird darauf abgestimmt: Sind ausreichend Mikroben vorhanden, bauen sie eigene Städte mit Kanälen für Abtransport von Abfall und Zulieferung von Nährstoffen.

Wenn die Population in den Städten überhandnimmt, setzen sich die Mikroben über eine Schiffsschraube zu einem anderen Ort ab und bauen eine neue Stadt. Neben der Schraube, die vor allem in feuchten Umgebungen funktioniert, gibt es im Trockenen auch sogenannte "Autobahnen der Mikroorganismen" - entlang von Pilzoberflächen.

So beeindruckend die Bewegung von Mikroben und die Ästhetik eines laufenden Geparden sein mag, jenseits der Tierwelt hat die Natur noch ganz andere Formen von Mobilität zu bieten. Zum Beispiel das Auseinandertreiben der Kontinente. Was zunächst eine kühne Theorie war, wurde in den 1960er-Jahren schließlich mit Proben von Ozeanböden festgestellt, sagt der Geochemiker und Direktor des Naturhistorischen Museums Christian Köberl.

Seither ist klar: Die Kontinente bewegen sich. Freilich geschieht dies in völlig anderen Größenordnungen als Bakterienbewegung. Köberl nennt einen Vergleich, der dennoch beachtlich ist: "Europa und Amerika entfernen sich mit derselben Geschwindigkeit, mit der Fingernägel wachsen."

Alles dreht sich

So mobil die Natur im Kleinen auf Mikrobenebene erscheint, so beweglich erweist sie sich auch im Großen. Wie wir heute wissen, kreist der Mond um die Erde, diese um die Sonne und diese wiederum um das Zentrum der Galaxie. Auch die Geschwindigkeiten, die dabei im Spiel sind, sind erstaunlich: Mit 30 Kilometern pro Sekunde umkreist die Erde die Sonne, die ihrerseits mit 220 Kilometern pro Sekunde um das Zentrum der Galaxie rast. Während die Erde bekanntlich 365 Tage für eine Umrundung braucht, ist die Sonne 200 Millionen Jahre unterwegs.

Im Großen wie im Kleinen zeigt sich Mobilität als grundlegender Zug des Lebens, ohne sie stünde alles still. Meist greifen dabei Raumüberwindung, stofflicher Austausch und Informationsfluss ineinander - und all das sind Aspekte von Mobilität, die auch für den Menschen gelten. "Wer lebt, will mobil sein", sagt Stephan Rammler, Professor für Transportation Design an der Hochschule für bildende Künste in Braunschweig. In seinem aktuellen Buch Schubumkehr fordert er eine Richtungsänderung in der menschlichen Mobilität. In ihr sieht Rammler einen zentralen Bereich für moderne Gesellschaften, denn bisher sei es kaum gelungen, die negativen Effekte der Mobilität in den Griff zu bekommen. Im Gegenteil: Der Ressourcenverbrauch steigt stetig.

Um die Umkehr zu schaffen, müssten die Menschen ihren Lebensstil ändern und neue Mobilitätskonzepte entwickeln. Bei beidem kann ein Blick in die Natur behilflich sein. So lässt die Vergegenwärtigung der Langsamkeit der Kontinentbewegung so manche Alltagshektik vielleicht in den Hintergrund rücken. Und neben der Schiffsschraube haben Mikroben womöglich noch andere Mobilitätsmechanismen zu bieten, die wir uns abschauen könnten. (Tanja Traxler, DER STANDARD, 25.3.2015)