Regisseur Uwe Eric Laufenberg über das Haus, an dem er gerade arbeitet: Die Wiener Staatsoper "hat das Potenzial zum besten Opernhaus der Welt! München hat's doch auch geschafft."

Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Die griechische Mythologie ist ein Intrigantenstadl à la "Dallas" und "Dynasty", erkundet aber auch die Fundamente der Psyche. Elektra ist quasi die Personifizierung des Rachedursts.

Uwe Eric Laufenberg: In Elektra ergibt sich eine negative Kraftanballung, die unbedingt zur Explosion kommen will. Hofmannsthal hat ihr Trauma theatralisch zugespitzt: Seine Elektra ist, wenn sie so wollen, eine Hysteriestudie - Sigmund Freud war ja einer seiner Zeitgenossen. Das Stück wurde ja am Beginn eines Jahrhunderts geschrieben, das sich dann in den nächsten Jahrzehnten regelrecht ausgerast und Millionen Menschen unter sich begraben hat. Hofmannsthals Elektra steht schon auch als Menetekel dafür.

STANDARD: Weil Sie die Weltkriege des letzten Jahrhunderts erwähnen: Dieser unbedingte, fanatische Hass Elektras erinnert an die Terroraktionen des Islamischen Staats.

Laufenberg: Da muss ich dauernd dran denken. Dieses negative, zerstörerische Gefühl verhilft den Jihadisten zu einer Art Identität, und sogar zu einer, vor der alle Angst haben. Ich habe vorher die zwei Weltkriege erwähnt: Unsere Gesellschaft hat sich danach zum Glück ins Demokratische, ins Helle entwickelt. Aber man sieht, dass an unsern Rändern solche Schatten wie der IS wieder auftauchen, und wir könnten vielleicht schneller wieder ins Dunkle stürzen, als wir uns das vorstellen können. Deswegen: So schlimm der Elektra-Stoff auch ist - er bleibt leider immer aktuell.

STANDARD: In Ihrer Neuinszenierung gibt Nina Stemme ihr internationales Rollendebüt als Elektra. War es ein Vorteil, dass die Sopranistin ohne feste Rollenvorstellungen an die Arbeit gegangen ist?

Laufenberg: Ja. Und ich finde es unglaublich, wie intensiv sie in diese Figur und ihre emotionalen Kämpfe eintaucht - und das parallel zu dem komplizierten Zeugs, was sie da singen muss. Sie scheint unendliche Reserven zu haben. Aber nach all dieser Intensität, die sie auf der Bühne bietet, fühlt man sich nie erschöpft, sondern wie gereinigt. Für mich ist das, was sie macht, ereignishaft. Die Arbeit mit ihr war für mich ein großer Glücksfall.

STANDARD: Wird der Schauplatz dieses immer gültigen Dramas ein zeitloser Ort sein?

Laufenberg: Nein. Der Hofmannsthal hat ja gesagt, er möchte nichts Antikisierendes. Er wollte Ekstase und Direktheit. Die können Sie mit mythischem Mummenschanz weniger gut herstellen. Sie müssen versuchen, Charaktere auf die Bühne zu bringen, die wir nachvollziehen können. Das Bühnenbild hat mit der Entstehungszeit der Oper zu tun, geht aber auch darüber hinaus. Wenn wir diesen Ort hier in Wien suchen würden, würden wir ihn vielleicht finden.

STANDARD: Sie sind als Intendant des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden selbst Operndirektor. Wie sehen Sie den Repertoiretanker Wiener Staatsoper, der an 300 Spieltagen 50 verschiedene Opern zeigt, von außen? Ist das toll oder ein Anachronismus? Opernhaus des Jahres wird man mit so einem System ja eher nicht.

Laufenberg: Warum soll die Staatsoper das nicht werden? Sie hat das Potenzial zum besten Opernhaus der Welt! Und München hat's doch auch geschafft. Gut, die spielen in etwas längeren Zyklen, und wenn die Zimmermanns
Soldaten machen, überlegen sie nicht, wie sie die 100 Jahre im Repertoire halten können. Das Wort Repertoire ist sicher ein gewisses Mantra hier, aber ich habe bei meiner Inszenierung nicht groß über deren Repertoiretauglichkeit nachgedacht. Der Glittenberg kennt das Haus gut und hat wunderbar vermittelt - wir hatten nie Stress. Und die Probenbedingungen waren super: Die Sänger waren immer da, im Arsenal hat man das originale Bühnenbild und Licht, und man hat Zeit, in Ruhe zu proben.

STANDARD: In Wien wurde die Basisabgeltung für die Bundestheater in den letzten eineinhalb Jahrzehnten fast eingefroren. Macht es sich die Politik mit ihrem immerwährenden Spardiktat - bei gleichzeitigen Rekordsteuereinnahmen - nicht zu leicht? Stiehlt sie sich da nicht aus ihrer Verantwortung?

Laufenberg: Vielleicht macht es die Politik, weil sie denkt, die Theater haben eh zu viel, und wir nützen diese Daumenschrauben mal, um sie etwas in Form zu bringen. Und ich habe auch grundsätzlich das Gefühl, dass die jüngere Politikergeneration immer weniger Bezug zur Oper hat. Aber ich kann diese Thematik bei den Wiener Theatern eigentlich nicht diskutieren, denn etwa das Burgtheater hat immer noch ein deutlich größeres Grundbudget als vergleichbare deutsche Häuser.

STANDARD: Im Sommer 2016 wartet Aufregendes auf Sie: Sie inszenieren in Bayreuth den "Parsifal".

Laufenberg: Ich bin ja erst der vierte Regisseur, der das Ding da machen darf und nicht Wagner heißt: Das freut mich sehr. Die Konzeption für
Parsifal habe ich ja erst für die Kölner Oper gemacht, aber meine Nachfolgerin wollte mir das dann nicht mehr zugestehen. Damals wollte ich sie erst wie Elektra verfluchen, aber heute denke ich, ich könnte ihr eigentlich Blumen schicken. Denn ein Parsifal in Bayreuth: Das ist natürlich viel aufregender! (Stefan Ender, DER STANDARD, 25.3.2015)