In Österreich gibt es offiziell rund eine Million Pollenallergiker - de Dunkelziffer dürfte aber höher sein.

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Ein Blühkalender.

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Am Dienstag hat die Birkenblüte begonnen. Das weiß Aerobiologe Uwe Berger schon seit drei Wochen – er arbeitet beim Pollenwarndienst der Med-Uni Wien. Um möglichst frühzeitig über die Blütenstaubbelastung zu informieren, betreiben die regionalen Pollenwarndienste und die Med-Uni österreichweit rund 25 Messstellen, an denen laufend der Pollengehalt der Luft gemessen wird.

Die Forschungs- und Serviceeinrichtung nahm vor rund 40 Jahren an der Wiener HNO-Klinik mit einem Tonbanddienst seinen Anfang. Durch den Zusammenschluss mehrerer Botaniker aus den Bundesländern kam es zur Etablierung eines österreichweiten Services, der seit 1997 im Internet verfügbar ist. Mittlerweile gibt es längst eine Handy-App mit Blütezeit-Countdowns und personalisierter Echtzeit-Warnungen, auch eine Belastungslandkarte.

Präzise Vorhersagen

"Aus dem Blühkalender wissen wir die Abfolge der Pollenflugzeiten sehr genau", sagt Berger. In Kombination mit den Daten der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) ließe sich über vier bis fünf Tage sehr genau sagen, wann welche Pollenbelastung zu erwarten ist. Mit Modellen, die auch Wetter und Witterung miteinbeziehen, lassen sich Schätzungen über einen Zeitraum von etwa sechs Wochen abgeben. "Das sind dann aber eben auch nur Schätzungen, keine wissenschaftlichen Vorhersagen", sagt Berger.

Um den Verlauf berechnen zu können, entwickelte sein Team gemeinsam mit finnischen Kollegen ein Modell, das ursprünglich für die Ausbreitung von Radioaktivität infolge eines Super-GAUs entwickelt wurde. "Wir haben es so umgebaut, dass es nun die Ausbreitung der Strahlung von Milliarden 'kleinen Atomkraftwerken' simuliert – den Pollen", sagt Berger. Schließlich explodieren die Samenhüllen am Boden und der Blütenstaub wird, ähnlich wie atomare Strahlung, vom Wind weitergetragen. Mit dem Modell seien die europaweit präzisesten Prognosen möglich, sagt Berger.

Frage der Konzentration

Heute ist es weniger die Ausbreitung von Pollen als vielmehr die als problematisch empfundene Konzentration, die die Forscher vor eine Herausforderung stellt. "Die Intensität der Beschwerden variiert sehr stark", sagt Berger. Es geht also um die Fragen: Wie viele Pollen pro Kubikmeter Luft sind wo und für welchen Patiententyp nötig, um Symptome auszulösen und wie verändern sich Saisonen und Allergene?

In vielen Gegenden Österreichs lösen 20 Pollen pro Kubikmeter Luft eines bestimmten Aeroalergens bei sensibilisierten Menschen eine rinnende Nase, Niesattacken, juckende und tränende Augen sowie Atemnot aus. In Frankreich reichen für ein und dasselbe Allergen nur fünf bis sechs Pollenkörner und in Serbien ist es ein Vielfaches davon. Jede biogegraphische Region hat somit ihren eigenen Schwellenwert, der direkt mit der Gesamtpollenmenge pro Jahr korreliert.

Umfangreiches Pollentagebuch

Allergiker können für sich erkennen, welche Pollen tatsächlich für die Beschwerden an Augen, Nase oder Lunge verantwortlich sind, ab welcher Pollenmenge die Allergie spürbar wird und ob die Therapie den erwünschten Effekt erzielt. Im Rahmen eines Forschungsschwerpunkts können nun auch die Schwellenwerte für die wichtigsten Allergene in Europa bestimmt werden.

Seit 2009 können Betroffene auch ihre eigenen Erfahrungen im Pollentagebuch bekannt geben – mehr als 60.000 Benutzer haben das schon gemacht. Anhand der Eingaben kann dann ein personalisierter Allergiewarner installiert werden. Aber auch für die Forscher liefern die Nutzerangaben wertvolle Aufschlüsse über Schweregrad einer Pollenwelle.

So gab es, berichtet Berger, etwa 2014 eine numerisch extrem hohe Birkenpollenbelastung, aber viel weniger Beschwerden als im Jahr davor. Ursache ist der schwankende Allergen-Gehalt, der einmal höher, einmal niedriger ausfällt. Im Vorhinein vorhersagen kann man ihn nicht, aber bei einsetzendem Pollenflug zumindest den weiteren Verlauf berechnen.

Immer mehr Betroffene

Birken- und Gräserpollen sorgen bei uns für die stärkste Belastung. Das vor allem in Ost- und Südosteuropa verbreitete Ragweed ist hierzulande erst an vierter oder fünfter Stelle, sagt Berger.

In Österreich gibt es laut offiziellen Zahlen rund eine Million Pollenallergiker, die Dunkelziffer schätzt Berger aber noch höher ein. Wahrscheinlich können zwischen 30 und 35 Prozent allergisch reagieren, so der Experte, und es werden mehr: "Die Tendenz ist mit Sicherheit steigend."

Eine mögliche Erklärung dafür ist die Hygienetheorie, derzufolge unser Immunsystem immer empfindlicher wird, weil unser Alltag oft klinisch sauber gehalten wird. Eine andere Ursache könnte die Luftverschmutzung sein, denn Feinstaubpartikel können sich mit den Pollen zu Allergenen verbinden. Für beide Theorien spricht die deutlich höhere Zahl von Allergikern in den Ballungsräumen. (Florian Bayer, derStandard.at, 24.3.2015)