An der Londoner Themse, am 6,8 Kilometer langen Kurs zwischen Putney und Mortlake, werden - wie immer - etwa 250.000 Menschen das Ufer säumen , und der übertragende Fernsehsender BBC wird hinterher - wie immer - von tollen Einschaltquoten schwärmen. Aber mit Alexander Leichter, und das ist halt nicht wie immer, wird am 11. April, wenn Oxford und Cambridge zum 161. Mal gegeneinander rudern, zum ersten Mal ein Österreicher dabei sein.

Konkurrenz? "Es war ein harter Kampf, aber ich habe nie gezweifelt."

"The Boat Race", der Wettkampf der beiden renommiertesten Hochschulen Englands, ist das bekannteste Ruderrennen der Welt. Es ist ein urbritisches Ereignis wie das Tennisturnier von Wimbledon oder das Pferderennen von Ascot. 1829 wurde es erstmals ausgetragen, vor dem 161. Duell steht es 81:78 für Cambridge, 1877 gab es ein Unentschieden. "Für mich geht ein Traum in Erfüllung. Es war ein harter Kampf um einen Platz im Boot, aber ich habe nie an mir gezweifelt", sagt Alexander Leichter.

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In der Mitte das Objekt der Begierde. Links Oxford-Kapitän Constantine Louloudis, rechts Cambridge-Kapitän Alex Leichter.
Foto: APA/AP/Wigglesworth

Mister President

Der Oberösterreicher hat ein gewisses Standing im Team, immerhin wurde er heuer von allen anderen Ruderern zum Präsidenten des Bootsklubs der Universität gewählt. Auch eine Premiere für Österreich. Es ist vor allem eine Repräsentationsaufgabe, Leichter ist Vorbild für andere Athleten, auch und vor allem was das Auftreten betrifft.

Im österreichischen Ruderverband (ÖRV) herrscht entsprechend Euphorie. Präsident Horst Nussbaumer freut sich über Leichters Erfolg. "Ich hatte das große Vergnügen, vor zwei Wochen den Achter beim Training in Cambridge beobachten zu dürfen und war sehr beeindruckt. Wir sind sehr stolz, dass sich Alex mit unglaublichem Fleiß diese Position erkämpft hat."

In der Tat ist Durchsetzungskraft erforderlich. Etwa 50 bis 60 Studenten der Uni bewerben sich jedes Jahr im Herbst um die Aufnahme in die erste Bootsbesatzung.

Der Sieg beim ersten Rennen 1829 ging an Oxford. Seit 1930 hat Cambridge im Kopf-an-Kopf-Rennen die Nase vorn. Mittlerweile steht es 81 zu 78 für Cambridge.

Leichter ist die letzten zwei Jahre im zweiten Boot gerudert, war quasi Sparringspartner und am Renntag medial nur eine Randerscheinung. In Österreich trainierte Leichter nur mit zwei Rudern, in Cambridge musste er auf Riemenrudern, also die Kraftarbeit mit nur einem Ruder umlernen.

Technik? "Auf dem Level machen ein, zwei Prozent den Unterschied aus."

"Mit ein Grund, warum ich es bisher nicht in den ersten Achter geschafft habe. Bei der Technik hatte ich Aufholbedarf, auf dem Level machen ein oder zwei Prozent den Unterschied aus." Der Oberösterreicher ist mit seiner 1,94 Meter Körpergröße ein ordentlicher Herr. Beim traditionellen gemeinsamen Abwiegen aller Oxford- und Cambridge-Ruderer im Rahmen der offiziellen Nominierung hat Leichter mit dem höchsten Gewicht aller Athleten aufhorchen lassen: 99 Kilogramm wird er beim Rennen einsetzen.

Im Team ist er physisch einer der stärksten Ruderer, sein Platz im Boot ist deshalb der Maschinenraum, das Mittelschiff. Vorne sitzt das Schlagpaar mit ausgeprägtem Rhythmusgefühl, hinten sorgen die Ruderer mit Feingefühl für die Balance.

Die Athleten von Cambridge sind 2015 schwerer und größer als jene von Oxford. Das Durchschnittsalter ist in beiden Booten mit 25 Jahren ident.
Die dominierende Nation beim Boat Race 2015 sind die USA. Im Boot von Cambridge sitzen nur zwei Briten, bei Oxford sind es immerhin vier.

Am Tag X soll die schnellste Bootsklasse im Rudern nur so über die Themse fliegen. Diesem Ziel ordnet Leichter sein Leben unter. Heißt: Tagwache um 5 Uhr, zweimal täglich Training bis zu fünf Stunden, dazwischen Vorlesungen. Und abends vergräbt sich Leichter in Bücher.

Die Uni nimmt kaum Rücksicht auf den Sport. Jedes Jahr geben Athleten auf der Uni auf, die Studieren und Rudern nicht vereinbaren können. "Wir sind ‚scholar athletes‘, mit dem Fokus auf Bildung und Sport vertreten wir auch gewisse Werte. Rudern hält als Ausrede für schlechte Noten nicht her." Daneben ist Platz für eigentlich nichts: "Ich bin seit September müde."

Die 160 bisherigen Ausgaben des Rennens sind reich an Highlights und Anekdoten. Acht Dinge, die Sie über das Boat Race wissen sollten.

Ein Studium in Cambridge gibt es nicht zum Okkasionspreis. Leichter absolviert einen Ökologie-Bachelor, der ihn 12.000 Euro pro Jahr kostet. Mit drei Ruderkollegen bewohnt er ein Haus am Campus: "Das Leben hier ist deutlich teurer als in Österreich. Das war mir bewusst, die persönliche Weiterentwicklung ist mir wichtig. Ich habe neben dem Studium an der Wirtschaftsuni in Wien immer gearbeitet, das Geld aus der Zeit im Heeressportzentrum gespart und meine Familie unterstützt mich auch".

Sportstipendien? "Gibt es nicht, es soll ein Studentenrennen bleiben."

Der 25-Jährige fühlt sich nicht überprivilegiert, eine Förderung von der Uni hätte er nicht bekommen. Sportstipendien wie in Amerika gibt es weder in Cambridge noch in Oxford. "Aus Angst vor einem Wettbieten, wer die besseren Athleten kauft. Es soll ein Studentenrennen bleiben." Freilich ein Studentenrennen auf sehr hohem Level.

Die Beziehung zum Gegner aus Oxford sei ein wenig "schizophren". Man grüßt einander höflich, ballt aber in der Tasche die Hand zur Faust. Während der Hauptsaison, zwischen September und April, gibt es kaum Kontakt, danach trifft man sich bei diversen Einladungsrennen. So manche Alumni der konkurrierenden Universitäten rudern später gar gemeinsam hobbymäßig in diversen Ruderklubs in London.

Britische Ruder-Idylle: Das Team Cambridge bei einer Trainingseinheit.
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Das Boat Race ist ein mediales Megaevent, Helikopter kreisen über dem Fluss, Kameras verfolgen die Ruderer auf Schritt und Tritt. Das Rennen wird in mehr als 200 Ländern live übertragen, die Teams professionell geführt und vermarktet. Leichter: "Vor 30 Jahren hätte ich als Präsident alles noch selber managen können. Heute haben wir mehrere Profitrainer, Angestellte und eine eigene Marketingagentur."

Rio 2016? "Ein Thema. Aber die Chancen sind nicht sehr groß."

Leichters Ruderkarriere begann, wenn man so will, durch Zufall in einem Linzer Fastfood-Restaurant. Einem Trainer fiel der großgewachsene 15-Jährige auf, Leichter war nach einer Einladung zur ersten Bootsausfahrt sofort Feuer und Flamme für den Sport.

Die Strecke auf der Themse führt flussaufwärts. Sie ist 6779 Meter lang. Der Start befindet sich 129 Meter flussaufwärts der Putney Bridge, das Ziel 112 Meter flussabwärts der Chiswick Bridge.

Über seinen Stammverein RV Wiking Linz schaffte er es in Kürze in Juniorenauswahlen und ins Nationalteam. Rio 2016 ist definitiv ein Thema. Im Sommer folgt die Rückkehr nach Wien, ohne Fokus auf eine Bootsklasse. "Ein Sprung ins kalte Wasser. Ich will ins Team zurück, am realistischsten im Zweier oder Vierer."

Ein weiterer Österreicher in der Reserve

Ziele, die mit Clemens Auersperg übrigens auch ein zweiter Österreicher in Cambridge verfolgte. Der Sprung ins erste Boot blieb Auersperg jedoch verwehrt. Er wird im Rennen der beiden Reserve-Achter dabei sein.

Das sportliche Niveau im Hauptrennen wird jedenfalls gewaltig sein, unter den vergangenen Boat-Race-Teilnehmern waren spätere Olympiasieger und Weltmeister. Gute Vorzeichen also für die Vorbereitung auf olympische Spiele. Leichter stapelt dennoch tief: "Die Chancen für Rio sind nicht sehr groß, aber das waren sie in Cambridge auch nicht. Man muss es versuchen." Wie immer. (Florian Vetter, DER STANDARD, 30.3.2015)