Edinburgh/Wien - Irlands Rugby-Nationalmannschaft hat also seinen Titel im Six-Nations-Turnier, dem alljährlichen Gipfeltreffen von Europas Eierlaberl-Elite, verteidigt. Zum ersten Mal seit 66 Jahren. Ein 40:10-Sieg gegen Schottland an einem außerordentlichen Schlusstag war dafür gerade gut genug. Zuvor hatte Wales Italien mit 61:20 überfahren, danach England Frankreich 55:35 besiegt.

Eine um sechs Zähler bessere Punktedifferenz gab somit am Ende den Ausschlag zugunsten Irlands, das wie schon 2014 England hinter sich ließ. Wales wurde Dritter, gefolgt von Frankreich, Italien und Schottland. Nach 15-mal 80 Rugbyminuten, welche ja alleine aufgrund ihres Intensitätsgrades zu durchschnittlichen Sportminuten in einem ähnlichen Umrechnungsverhältnis stehen wie Hunde- zu Menschenjahren, hatte ein einziger Hechtsprung monumentale Bedeutung erlangt: Irlands Jamie Heaslip versagte so Stuart Hogg in letzter Sekunde (und fünf Minuten vor Spielende) einen weiteren Try für Schottland. Sieben Punkte ist ein solcher (inklusive erfolgreicher Erhöhung) wert - und dann, ja dann...

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Paul O'Connell mit dem Siegerpokal; Irlands Captain denkt an Rücktritt.
Foto: reuters/smith

"Denkwürdig", fand auch Stiig Gabriel das, was da geschehen war. Der Sportdirektor von Österreichs Meister RC Donau Wien hatte das England-Spiel zusamen mit seiner kleinen Tochter in der Badewanne verfolgt. Mit Irland sei nun auch bei der Weltmeisterschaft im Herbst zu rechnen. Man praktiziere unter dem neuseeländischen Coach Joe Schmidt ein zwar eher simples System, das in seiner Konsequenz jedoch durchaus stimmig sei. Die Eckpunkte: Disziplin, starke Forwards, Dominanz im Ruck. Gabriel zu derStandard.at: "Das irische Team ist abgebrühter und cleverer geworden. Es gelingt ihnen nun regelmäßig, ihren Spielplan durchzuziehen. Sie gewinnen die wichtigen Matches, das gibt Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten."

Drei Teams waren vor dem Finale Kopf an Kopf gelegen, nur durch die Punktedifferenz separiert: Engländer (+37) und Iren (+33) standen diesbezüglich allerdings klar besser da als die Waliser (+12). Sogar Frankreich, viertplatziert und zwei Punkte hinter dem Führungstrio, war noch nicht ganz aus dem Rennen.

Wie es zu diesem Supersamstag mit Gourmetqualität überhaupt erst kommen konnte, geht ungefähr so: Irland hatte am dritten Spieltag den damaligen Tabellenführer England bezwungen, sich daraufhin allerdings prompt in selbiger Eigenschaft von Wales niedergekämpft gesehen, welches wiederum seinerseits bereits in der ersten Runde gegen die Engländer den Kürzeren gezogen hatte. Damit hatte sich die Katze also in den Schwanz gebissen.

Rom, 14:30

Alles begann einem Ambiente, wie es nicht einladender gedacht werden konnte: Im frühlingshaften Rom ein mit 65.827 gut ausgelastetes Olympiastadion, der italienische Anhang fest entschlossen, sich von den Fährnissen des Spiels mitreißen zu lassen. Immer wieder rauschten die "Ahs" und "Ohs" durch das weite Rund, denn in der Tat: die Azzurri boten dem Favoriten zunächst mutig die Stirn.

Nachdem eine Woche davor gegen Frankreich das Scoreboard in Jungfräulichkeit vertrocknet war (0:29), lag Italien nun nach einer halben Stunde mit 13:11 in Führung. Jeder Seite war ein Try gelungen - der walisische elegant herausgechipt, der italienische mit schierem Schub erzwungen. Vom notwendigen Kantersieg des Titelkandidaten jedenfalls, war zu diesem Zeitpunkt weit und breit noch nichts zu sehen. Dass Meisterkicker Leigh Halfpenny mit einer Kopfverletzung ausscheiden musste, erleichterte dessen Aufgabe ganz sicher nicht.

Stattessen machten Italiens gewichtige Herren, die Forwards der ersten Reihe, famose Figur. Ihre Dominanz erlaubte es den Gastgebern das Geschehen, wenn auch mit großem Aufwand, recht ordentlich zu kontrollieren. Das Bild änderte sich in der zweiten Halbzeit so rasch wie dramatisch: Wales war nun auf Achse, brachte seine Vorteile in Technik wie Dynamik immer mehr zur Geltung.

Italien zerfiel in Frustrationen, während sich der Glaube der Waliser an ihre Chance proportional zur nach oben tickenden Punkteausbeute aufblähte. Illustrativ die Explosion von George "Oberschenkel" North, der zu drei Versuchen galoppierte. Und die Kollegen taten es ihm gleich: zügellose Sololäufe querfeld beinahe im Minutentakt, eventueller italienischer Anhängsel abgeschüttelt wie federleichtes Laub im Wirbelwind.

So übervoll war sich das Gebotene, dass der Beobachter mit dessen Verarbeitung kaum noch mithalten konnte. Von schierer Spielfreude sprühende 40 Minuten, die in ihrer Pracht gar die legendären walisischen Teams der 1970er Jahre als Referenz als nicht zu hoch gegriffen erscheinen ließen. 47 Punkte in einer Halbzeit sind eben nicht von schlechten Eltern.

Edinburgh, 15:30

Die nachfolgenden Partien hätten es nun eigentlich schwer haben sollen, das Unterhaltsamkeits-Niveau zu halten. Doch das Drehbuch, von wem immer geschrieben, ließ mitnichten locker. Bereits die Vorzeichen waren entsprechend: auch Edinburghs Murrayfield war sonnendurchtränkt.

Schottland wurde von den Iren zwar phasenweise durchaus genügend Ballbesitz gewährt, aber vieles ging bei ihnen zu langsam, Inspiration hieß die Mangelware. Nicht, dass dies sonderlich überrascht hätte, schließlich trug die Biederkeit im bisherigen Turnierverlauf oft Distelblau. Beide Mannschaften nahmen sich in der ersten Halbzeit hinsichtlich der ein oder anderen Unzulänglichkeit nicht viel. Als diese sich nach einer halben Stunde zu häufen begannen, war das gar gut für ein kurzweiliges Hin und Her von Ballverlusten samt Kontern in alle Richtungen.

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Paul O'Connell bei der Arbeit in Edinburgh.
Foto: reuters/smith

Der Sukkus aber blieb: Sobald die Iren sich zusammenrissen und die Schraube anzogen, waren Punkte zu ihren Gunsten nur eine Frage der Zeit. Genau das vollzog sich dann über weite Strecken der zweiten Halbzeit. Schritt um Schritt verabsentierte sich die grüne XV mit disziplinierter, fehlerminimirender Vorstellung, während die immer fahrigeren Schotten nicht mehr zustande brachten, als ein ums andere Mal im Herzen der irischen Verteidigungsstellung einen vorprogrammierten Infarkt zu erleiden.

So verzeichneten die Schmidts Mannen einen Rekordsieg, während die Bilanz des Gegners weiter Richtung absoluten Nullpunkt fällt: von seinen letzten zwölf Matches bei den Six Nations konnte Schottland nur ein einziges für sich entscheiden.

London, 18:00

Englands Job war nun zwar nicht leichter geworden, immerhin aber eindeutig definiert: Frankreich schlagen, mit 26 Punkten Differenz. Und was für ein Frankreich: gut in der Verteidigung, stark im Scrum. Hilflos aber, sobald mit dem Ball kreativ etwas anzufangen wäre. Das klingt nach falschem Film, und ist derzeit doch gallische Realität. Trainer Philippe Saint-André, einer Philosophie des Konservativen verpflichtet und an vielen Fronten im Streit liegend, steht unter Beschuss. Seine Probierphase dauert schon zu lange, immer noch hat er keinen Stamm gefunden, auf den er bauen will.

England kam gleich mit der ersten ordentlichen Attacke in der zweiten Minute zu einem Try, geriet nach diesem besten aller Auftakte allerdings ins Hintertreffen - um bis zur Halbzeit schließlich doch wieder einen Vorsprung herauszukämpfen (27:15). Man nennt das Achterbahn. Kurios der zweite französische Versuch: Noa Nakaitaci wieselte erst komfortabel ins Malfeld. Doch weder stoppte er, noch legte er den Ball ab. Nakaitaci, Flügel und Six-Nations-Debütant, lief einfach weiter. Er näherte sich der Spielfeldbegrenzung und war tatsächlich im Begriff ins Out zu schweben, als er sich Zentimeter vor der Linie doch noch besann und den Ball ordnungsgemäß ablegte.

Ein ziemliches Spektakel war das, von beiden Seiten offen wie offensiv geführt. Hätten Fly-half Jules Plisson und danach Rory Kockott akkurater gekickt, es wäre ein engeres gewesen. Frankreich, das im ganzen bisherigen Turnierverlauf zwei Tries hinnehmen musste, kassierte an diesem einen Abend in Twickenham derer sieben. England rannte an, bis zum bitteren Ende, in zunehmender Verzweiflung. Zum vierten Mal hintereinander blieb Platz zwei. Ben Youngs, Man of the Match: "Wir sind am Boden zerstört." Noch nie hat wohl eine Panade der Frösche derart paradoxe Gefühle heraufbeschworen. (Michael Robausch, derStandard.at - 23.3. 2015)

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Chris Robshaw, englischer Zustand in Person.
Foto: reuters/keogh

ERGEBNISSE, 5. und letzter Spieltag

Italien - Wales 20:61 (13:14)

Italien: Tries: Giovanbattista Venditti (25), Leonardo Sarto (80); Conversions: Luciano Orquera (27, 81); Penalty Goals: Kelly Haimona (2), Luciano Orquera (11).

Wales: Tries: Jamie Roberts (19), Liam Williams (48), George North (50, 55, 60), Rhys Webb (67), Sam Warburton (69), Scott Williams (73); Conversions: Dan Biggar (48, 51, 56, 60, 70, 74); Penalty Goals: Leigh Halfpenny (8, 13), Dan Biggar (41).

Schottland - Irland 10:40 (10:20)

Schottland: Try: Finn Russell (30); Conversion: Greig Laidlaw (31); Penalty Goal: Greig Laidlaw (18).

Irland: Tries: Paul O'Connell (5), Sean O'Brien (25, 72), Jared Payne (50); Conversions: Jonathan Sexton (6, 26, 51), Ian Madigan (73); Penalty Goals: Jonathan Sexton (10, 34, 45, 62).

England - Frankreich 55:35 (27:15)

England: Tries: Ben Youngs (2, 36), Anthony Watson (30), George Ford (47), Jack Nowell (54, 75), Mako Vunipola (64); Conversions: George Ford (4, 31, 37, 47, 55, 64, 76). Penalty Goals: George Ford (27, 40).

Frankreich: Tries: Sebastien Tillous-Borde (14), Noa Nakaitaci (18), Maxime Mermoz (43), Vincent Debaty (60), Benjamin Kayser (66); Conversions: Jules Plisson (19, 43); Penalty Goals: Jules Plisson (12), Rory Kockott (52).