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Das österreichische Bildungswesen braucht einen Kurswechsel, heißt es von allen Seiten. Die Frage ist, wohin der Kurs gehen soll - zumal das System schwerfällig zu steuern ist.

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"Wenn man die Autonomie wirklich in Gang bringen will, dann braucht man sinnvolle, starke Regeln, die der Bund zentral aufstellen muss", warnt IHS-Bildungsforscher Lorenz Lassnigg.

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Wien - Was wäre eine Steuerreform ohne Ankündigung einer, jetzt aber wirklich, Verwaltungs-, Pensions- und Bildungsreform? Alle drei wurden auch diesmal auf die To-do-Liste gesetzt, die nun endlich angegangen werden solle. Allein schon, um den ganzen Staatsladen auch mittel- und langfristig finanzieren zu können. Bei der Regierungsklausur ab Montag soll für die Bildung zumindest ein Fahrplan besprochen werden.

Wie aber sollte eine Bildungsreform aussehen? Was muss sie können? Was wäre unbedingt zu tun? Bildungsforscher Lorenz Lassnigg vom Institut für Höhere Studien (IHS) würde diese Frage schon anders formulieren: "Was muss verhindert werden", sei derzeit viel wichtiger, sagt er zum STANDARD.

Riesentanker mit zweifelhaftem Inhalt

Lassnigg hat das österreichische Bildungswesen einmal "Riesentanker ohne wirksame Steuerung mit zweifelhaftem Inhalt" genannt, und diese Beschreibung sei auch heute noch zutreffend. Die Pisa-Auswertungen von 2000 bis 2009 etwa hätten für ein Jahrzehnt "keine Verbesserungen" gezeigt.

Solche Tanker können zwar große Mengen transportieren, sie aber wirksam auf neuen Kurs zu bringen oder auf falscher Fahrt abzubremsen erfordert enorme technische Fertigkeiten, um dorthin zu kommen, wo man hinwill.

Die Jungen werden die Reform nicht stemmen können

Das gilt auch für das Bildungssystem, durch das "ein hoher Anteil des Bildungsstandes von 2050 bereits heute produziert wird", heißt es in einem IHS-Zukunftspapier von 2013 mit dem Titel "Vision Österreich 2050: Vorsprung durch Bildung, Innovation und Wandel". Einen Aspekt daraus betont Lassnigg besonders, nämlich den, wonach "bestimmte Reformkomponenten in ihren Wirkungen falsch eingeschätzt werden, das gilt insbesondere für die Erstausbildung der Lehrpersonen."

Die neue Lehrerausbildung wird ja in der Tat von so gut wie allen Politikern besonders gelobt, aber, entgegnet Lassnigg: "Bei der Evaluierung der Neuen Mittelschule hat man gesehen, dass die Qualität der Lehrpersonen zentral für die Wirksamkeit bildungspolitischer Maßnahmen ist. Die Lehrerweiterbildung ist der entscheidende Faktor für Veränderung. Zu sagen, man reformiert die Ausbildung, und damit reformiert man automatisch die Schule, ist eine groteske Idee: In anderen Bereichen würde niemand darauf kommen, von den jungen Neueinsteigenden eine Reform zu erwarten."

Oder anders gesagt: Nur weil auf einem Schiff plötzlich ein paar junge, neu ausgebildete Matrosen arbeiten, ändert sich das System an Bord noch lange nicht. Die Hoffnungen über die Erstausbildung als "Reformhebel" seien ein "zentraler Trugschluss der Reformdebatte", warnt Lassnigg.

Bis "reformiert gebildete Lehrpersonen" wirklich wirksam werden, vergehen im Schnitt zehn bis fünfzehn Jahre nach der Implementierung einer Bildungsreform, als "kritische Masse" gilt ein Drittel des Lehrerkollegiums.

Drohendes Durcheinander auf Länderebene

Auf der Not-to-do-Liste ganz oben steht für Lassnigg auch die vorerst bis Sommer vertagte "Verländerung" aller Lehrerinnen und Lehrer, also die Verschiebung in die Zuständigkeit der Länder - bei weiterer Finanzierungspflicht des Bundes. Das wäre für den IHS-Experten "das Absurdeste, was man machen kann, vor allem, wenn die Rufe nach mehr Autonomie für die Schulen ernst genommen werden sollen. Schulautonomie und Verländerung schließen sich aus", sagt Lassnigg: "Wenn man die Autonomie wirklich in Gang bringen will, dann braucht man dafür sinnvolle, starke Regeln, die der Bund zentral aufstellen muss. Auf Länderebene kommt nur ein Durcheinander heraus."

Vergebührte Autonomie gibt's nicht

Autonomie für die Schule fordert der IHS-Experte auch, in der Form, "dass die Schule wirklich zuständig sein sollte für die Arbeit der Schule". Dazu müsse sie aber auch in die Lage versetzt werden, was schwierig sei, wenn so wie "im jetzigen Modell der gewerkschaftlichen Orientierung jeder Leistungspunkt im Vertrag extra bezahlt werden muss. Die ganze Kultur der Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten ist nicht auf Autonomie ausgerichtet."

Bitte keine "Hypo Schule"

Eine Verländerung der Kompetenzen würde zudem wieder automatisch den Schuldiskurs vor allem auf Geldzuteilung einengen: "Richtung Hypo Schule ...", fürchtet Lorenz Lassnigg aus aktuellem Anlass Schlimmstes.

Apropos Geld: Wer so wie in Österreich nicht wirklich weiß, wo der Großteil der Mittel hinfließt, "darf sich nicht wundern, wenn es zwischen Mitteleinsatz und Leistungen des Schulsystems eine Diskrepanz gibt", sagt Lassnigg. Darum brauche man in diesem Bereich vor allem endlich Transparenz über alle Geldflüsse, "denn die Budgetproblematik gerade im Bildungsbereich wird sich ja eher nicht entschärfen, im Gegenteil."

Entscheidende Zuwandererfrage

Ein besonders wichtiger Punkt, der von den bildungspolitischen Tankerkapitänen, die eigentlich auf Kurs Richtung 2050 sein sollten, noch viel zu wenig ins Auge gefasst sei, ist für Lassnigg "die Frage der Zuwanderung: Wenn man nicht schafft, mit diesen Ressourcen geeignet umzugehen, kann man eh alles vergessen." (Lisa Nimmervoll, DER STANDARD, 21.3.2015)