Vielen Menschen mit Epilepsie bleibt die langwierige Suche nach dem richtigen Medikament über einfache Anwendungsversuche womöglich bald erspart: Europäische Wissenschafter erforschen derzeit die Rolle von genetischen Ursachen der Erkrankung. Das Ziel ist es, mittels einer Genanalyse die optimale Therapie für jeden einzelnen Patienten zu finden, berichteten deutsche Experten in Tübingen.

Medikamente wirken nicht immer

Auf der derzeit laufenden Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie und Funktionelle Bildgebung (DGKN) stellten Experten in Aussicht, dass noch in diesem Jahr erste Ergebnisse eines diesbezüglichen EU-Projekts vorliegen werden. Der Hintergrund: Bei etwa zwei Drittel der Epilepsie-Patienten wirken Medikamente sehr gut, die Menschen leben ohne Anfälle. "Bei den anderen dauert es länger oder gelingt überhaupt nicht", sagte Holger Lerche, Präsident des Kongresses.

Diese Patienten leiden trotz medikamentöser Therapie unter Anfällen oder auch den Arzneimittelnebenwirkungen, wie etwa Müdigkeit, Schwindel, Zittern oder Haarausfall, so der Direktor der Abteilung Neurologie mit Schwerpunkt Epileptologie. Bisher gibt es nur wenige Anhaltspunkte, nach denen der Arzt die Wirksamkeit einer Behandlung vorhersagen kann.

Erbliche Faktoren

Diesen Patienten, deren Behandlung sich über Jahre oder sogar Jahrzehnte hinzieht, hofft das Forscherteam mit Genanalysen zu helfen. Erbliche Faktoren spielen bei etwa der Hälfte der Epilepsie-Patienten eine Rolle. Bekannt sind mehr als 300 Gene, die monogenetisch, das heißt durch eine einzige Mutation, oder durch eine Kombination mehrerer mutierter Gene, eine Epilepsie verursachen.

"Bei einigen schwerwiegenden Epilepsieformen bei Kindern können wir schon jetzt mittels Genanalysen die wahrscheinliche Wirksamkeit bestimmter Medikamente vorhersagen", sagte Lerche bei einer Pressekonferenz. Dazu zählen Kinder, bei denen Mutationen in verschiedenen Kaliumkanal-Genen (KCNQ2, KCNT1, KCNA2) eine schwere Epilepsie verursachen.

Ihnen helfen unterschiedliche Medikamente: einige Antiepileptika, aber auch Medikamente, die sonst bei Epilepsie gar nicht eingesetzt werden, die sich jedoch spezifisch auf den Gendefekt auswirken und diesen zum Teil korrigieren. Dazu zählt zum Beispiel Chinidin, das sonst bei Herzrhythmusstörungen eingesetzt wird.

Auch für Kinder, deren Epilepsie durch einen gestörten Zuckertransport über die Blut-Hirn-Schranke ausgelöst wird, entdeckten Forscher eine maßgeschneiderte Therapie: "Eine fettreiche Diät verhindert bei dieser Form die Anfälle weitgehend und verbessert oft auch die meist gestörte geistige Entwicklung der Kinder", sagte der Experte.

Wirksamkeit vorhersagen

Derzeit kommen die Therapieerfolge vor allem Patientengruppen mit monogenetischen Formen der Epilepsie zugute. DGKN-Experten erhoffen sich noch dieses Jahr weitere Fortschritte von dem EU-Projekt, an dem auch die Tübinger Wissenschafter beteiligt sind. "Es geht darum, mithilfe einer Genanalyse die Wirksamkeit bekannter Epilepsie-Medikamente und mögliche Nebenwirkungen vorherzusagen", berichtete Lerche. Davon könne eine große Anzahl von Patienten profitieren.

Internationale Zusammenarbeit spielt in der Epilepsie-Genforschung eine herausragende Rolle. Im Jahr 2013 berichtete ein europäisches Team, an dem auch Neurologen der Wiener Universitätsklinik im AKH um Fritz Zimprich beteiligt waren, dass man das ursächliche Gen für die häufigste Epilepsieform im Kindesalter entdeckt hätte. Diese Rolando-Epilepsie macht 20 Prozent der Epilepsie-Erkrankungen bei Kindern aus. Ihr liegen Veränderungen im sogenannten NMDA-Rezeptor zugrunde. (APA, derStandard.at, 20.3.2015)