"Stadtplan von Wien im Jahre 3000", Gschnasfest Künstlerhaus, 1933. Entwurf und Ausführung: Meisterschule Prof. Siegfried Theiss.

Foto: Archiv Künstlerhaus

Seien Sie überzeugt: Diese Stadt ist in meinen Augen eine Perle! Ich werde sie in jene Fassung bringen, die dieser Perle würdig ist, und sie der Obhut des ganzen Deutschen Reiches, der ganzen deutschen Nation anvertrauen. Auch diese Stadt wird eine neue Blüte erleben." Dies sind die Worte Adolf Hitlers im Festsaal des Wiener Rathauses, 9. April 1938, "11 Uhr 49" laut Protokoll.

Über die geplanten Führer- städte Berlin, Hamburg, Nürnberg, München und Linz sind bereits viele wissenschaftliche Daten vorhanden, was die Baupläne und realisierten Bauwerke der Nationalsozialisten betrifft. Auf so manchem Stadtplatz hat sich die Handschrift der NS-Architekten bis heute eingebrannt. Über Wien indes, über die Architekturambitionen und Stadtplanungsvisionen für die "Perle des Reiches", war bis vor kurzem verhältnismäßig wenig bekannt. Abgesehen von seinen sechs Flaktürmen, die das Stadtbild bis heute prägen, genießt Wien immer noch den Mythos, im Planungsgeschehen des Dritten Reiches eine bloß untergeordnete Rolle gespielt zu haben. Das hat sich nun geändert.

Klaus Steiner, seines Zeichens Architekt und Stadtplaner in Wien, sammelte fünf Jahrzehnte lang Dokumentationsmaterial über die NS-Planungen für die Donaumetropole. Mehr als 4000 Einzeldokumente, darunter Originalpläne, Zeichnungen, Fotografien, Briefe und diverse Schriftstücke, haben sich zwischen 1961 und 2011 auf diese Weise angehäuft. Vor vier Jahren wurde das Archiv an das Architekturzentrum Wien (AzW) übergeben.

Aufarbeitung der Kindheit

"Mein Vater war hoher SS-Offizier, meine Mutter war NSDAP-Parteiangestellte in der Gauleitung, und als ich auf die Welt gekommen bin, war ich für alle der kleine SS-Mann", erzählt Steiner im Gespräch mit dem Standard. "In meiner Heimat im Salzkammergut war ich die ganze Zeit von Nazis umgeben. Als Fahrschüler bin ich zweimal täglich am KZ Ebensee vorbeigefahren. Ich bin in einem Klima aufgewachsen, das mich sensibilisiert hat." In gewisser Weise, sagt Steiner nach einer kurzen Nachdenkpause, sei die Sammeltätigkeit über all die Jahre eine Aufarbeitung seiner Kindheit und Jugend gewesen.

Von dieser therapeutischen Tätigkeit profitiert nun die Öffentlichkeit. Die Ausstellung im AzW ist die erste umfassende, ganzheitliche Schau über die Hitler-Planungen für Wien. "In anderen Städten ist es den Menschen leichter gefallen, mit der Vergangenheit umzugehen", sagt Steiner. "In Wien aber sind sämtliche Pläne und Zeichnungen in der Schublade verschwunden, wo sie oft bis zum Tod des Architekten unter Verschluss gehalten wurden. Meine Hoffnung ist, dass sich das AzW nun dafür starkmacht und das tut, was ich und andere verabsäumt haben - die Lücke zu schließen."

Die Wände in der Ausstellungshalle im Museumsquartier sind rosarot gestrichen, eine Mischung aus Schweinchenrosa und Pink. "Rosa ist ein Symbol für Weiblichkeit und Femininität, für Lesben und Schwule, und steht damit im absoluten Widerspruch zu den Ideologien des Nazismus", sagt die Wiener Architektin Gabu Heindl, die die Ausstellungsgestaltung entwarf. Auch das Unfertige, das sich anhand von angelehnten Bildtafeln, aufgeklappten Leitern und scheinbar willkürlich übereinandergelegten Tischplatten manifestiert, sei eine Provokation, eine Anspielung auf den stets zelebrierten Perfektionismus der Nationalsozialisten.

Weit, beängstigend weit reichen die Visionen der Nazis, wie der "Stadtplan von Wien im Jahre 3000" beweist. Das Wandbild im Künstlerhaus, das anlässlich des Gschnasfestes 1933 von der Meisterschule Professor Siegfried Theiss gestaltet wurde, übt sich in einem Zukunftsblick auf ein futuristisches Wien mit gigantischem Flughafen, Nacktkulturbad in den Weinbergen, Reisfleischplantagen in Transdanubien, einer Pressluftleitung zum Nordpol sowie einer über die Innenstadt gestülpten Käseglocke. Besonders auffällig ist der Hakenkreuz-Rundstempel der NSDAP, der in Form eines Hochhaus-Clusters aus der Leopoldstadt emporragt.

Monumentalachse

Wäre es nach Hitler, Speer und dem Wiener Geografen Hugo Hassinger gegangen, wären der 2. und 20. Bezirk ohnehin komplett umgestaltet worden. Geplant war eine symmetrisch angelegte Monumentalachse mit einer 350 Meter hohen Kuppelhalle am Ende. Im Übrigen, schreibt Hassinger in einem Vorschlag zur Planung des Wiener Donaugeländes, enthalte dieser Stadtteil nichts Erhaltenswertes. "Es handelt sich um eine traditionslose hässliche Steinfläche mit öden Gassen, die großenteils von wurzellosem Fremdvolk bewohnt werden. Leopoldstadt und Brigittenau bedürfen dringend der Auflockerung und Verschönerung." Hinzu kommen Planungen für einen Ausbau des Heldenplatzes mitsamt hochgestemmtem Theseustempel, angedachte Anbauten an das Burgtheater, ein neuer Portalentwurf für die Volksoper, ein minutiös in die Stadt geflochtenes und sich an der Bevölkerungsdichte orientierendes U-Bahn-Netz sowie der Bau mehrerer "Schlafstädte" mit insgesamt 120.000 Neubau-Wohnungen. Damit sollte die Bautätigkeit des Roten Wien übertroffen und weit in den Schatten gestellt werden.

"Die Ausstellung im AzW ist eine Bestandserfassung. Sie beschäftigt sich nicht mit der Opfer-, sondern mit der Tätergeschichte", sagen die beiden Kuratorinnen Ingrid Holzschuh und Monika Platzer. "Jahrzehntelang war kaum etwas über die Täter bekannt, weil die NS-Planungen der Wiener Architekten gesäubert oder vernichtet wurden. Nun, da die Protagonisten nicht mehr am Leben sind, kriegen wir einen neuen, einen kompletten Blick auf die Geschichte und können die Forschungsarbeit fortsetzen."

Die Biografien von namhaften Planern, ja sogar Würdenträgern wie etwa Roland Rainer, Josef Hoffmann, Georg Lippert, Franz Schuster, Karl Ehn, Hermann Kutschera, Siegfried Theiss & Hans Jaksch, Max Fellerer & Eugen Wörle sowie Oswald Haerdtl, dessen zahlreichen Planungstätigkeiten für das NS-Regime ein eigener Teil der Ausstellung gewidmet ist, stehen nun in einem anderen, einem korrigierten Kontext.

Wissenschaftliche Distanz

"Es geht nicht darum, irgendjemanden für seine Positionierung während des Nationalsozialismus zu verurteilen, sondern lediglich darum, die häufig auftretende Lücke zwischen 1938 und 1945 zu schließen und die Biografien im Sinne der Kontinuität zu vervollständigen", so Platzer. Bei all den Fotografien, Entwürfen und beängstigenden, mitunter faszinierenden Strategien, die im Architekturzentrum zu sehen sind, berührt die Ausstellung durch ihre wissenschaftliche Distanz und ihren bisweilen respektvollen Umgang mit den Tätern, die manchmal auch wider Willen Täter waren. (Wojciech Czaja, Album, DER STANDARD, 21./22.3.2015)