Mit großer Traurigkeit nimmt man zur Kenntnis, was stets klar war: Tunesien, das erfolgreichste Land des "Arabischen Frühlings", ist keine Insel der Seligen. Das war es natürlich nie. In den vergangenen Jahren erlebte Tunesien bei steigender Tendenz immer wieder Episoden der Gewalt, die sich in vielen Fällen jedoch zwischen Sicherheitskräften und militanten Radikalen abspielte und deshalb nicht so medienwirksam war. Zusammenstöße fanden oft in der Peripherie statt, etwa an der Grenze zu Algerien.

In die Schlagzeilen kam Tunesien zuletzt durch die Bildung einer säkular geführten Regierung unter Einbindung der Islamisten, die als Modell für die ganze arabische Welt gepriesen wurde. Und dennoch gab es die ganze Zeit über auch ein anderes Tunesien. Dieses zeigte sich auch nach dem Attentat auf das Bardo-Museum in den sozialen Medien, in denen der Schlag des "Islamischen Staats" - der sich am Donnerstag bekannte - als großer Erfolg gefeiert wurde.

Zu meinen, die Beteiligung der islamischen Ennahda-Partei an der Regierungsverantwortung hätte diesen radikalen Sektor besänftigt, ist naiv: Im Gegenteil, in vielen jihadistischen Schriften werden die sogenannten moderaten Islamisten als die wahren Verräter genannt. Der einzig positive Effekt der Ereignisse von Mittwoch könnte und sollte sein, dass Ennahda endlich zur klaren Distanzierung vom Radikalismus gezwungen wird.

Der Anschlag auf das neben dem Parlament gelegene Museum in Tunis, das jeder Tunesien-Reisende besucht, ist jedoch gleich eine mehrfache Katastrophe. Ein zentraleres - und besser gesichertes - Ziel gibt es nicht; die Botschaft, dass es keinen geschützten Ort gibt, wird bei den Touristen ankommen. Der Tourismus ist eine der Säulen, die Tunesien - dessen ökonomische Lage sich nach dem Umsturz 2011 verschlechtert hat - zur Erholung seiner Wirtschaft braucht. Neue Einbrüche werden wieder besonders den strukturschwachen Regionen wehtun, deren arbeitslose Junge besonders radikalismusgefährdet sind. Und so weiter.

Einer Gruppe, die einen logistisch so anspruchsvollen Anschlag durchführen kann, ist auch zuzutrauen, dass sie ein politisches Kalkül hat. Im tunesischen Parlament wurde, als die Terroristen angriffen, gerade ein neues Sicherheitsgesetz diskutiert. Eine der großen Baustellen der jungen tunesischen Demokratie ist der Sicherheitssektor: Will Tunesien den Übergang in die politische Moderne schaffen, muss es ihn radikal reformieren. Ein nationaler "Kampf gegen den Terror", wie ihn Staatspräsident Béji Caid Essebsi als Priorität ausgerufen hat, macht das nicht einfacher.

Eine Rückkehr zu autoritären Verhältnissen mag Sicherheitsprobleme punktuell lösen, es wird nichts daran ändern, dass der internationale Jihadismus aus Tunesien einen überdurchschnittlich großen Zulauf hat. Und viele der Jihadisten kommen auch wieder nach Hause.

Dass die Destabilisierung Libyens einen Gefahrenherd auch für Tunesien darstellt, ist unbestritten. Aber je klarer Tunesien das Problem als eigenes erkennt und sich nicht, wie in der Region üblich, in Verschwörungstheorien flüchtet, desto bessere Chancen hat es, diese Krise zu überstehen. Es wird viel Unterstützung brauchen; und die wird sich auch für jene, die helfen, lohnen. Denn auch das Bardo-Attentat ändert nichts daran, dass Tunesien das arabische Hoffnungsland bleibt. (Gudrun Harrer, DER STANDARD, 20.3.2015)