Wien - Ist das wieder eine dieser gar trendigen "Diversity"-Werbekampagnen? Auf dem Karlsplatz ist jetzt ein neues Plakat zu sehen. Es sagt in zwei Sprachen "coming soon" und zeigt Personen unterschiedlicher Ethnien. Mann, Frau, Kind. Sie lächeln etwas übertrieben, so, wie man eben für ein Porträt lächelt. Sie halten einander fest. Man muss sie für eine Familie halten. Und vor allem annehmen, dass sie bald kommen.
Wenn es nach dem kanadischen Künstler Ken Lum (geb. 1956) geht, werden Passanten nun verunsichert sein und sich fragen: "Wer sind diese Leute?", "Warum sind die so fröhlich?" Und vor allem: "Was genau kommt hier auf uns zu?" Ist es der Kung-Fu-Film zur Kernfamilie? Oder wird hier ein neues Wohnhaus für Zuwanderer gebaut? Die Verwirrung könnte einigermaßen groß werden auf dem Karlsplatz.
Von "Dissonanz" spricht Ken Lum. Sie ist eines seiner künstlerischen Hauptziele. Er erreicht es, indem er bei seinen urbanen Interventionen den Stadtbildern mehr oder weniger stillschweigend kleine Irritationen hinzufügt: Man kennt Werbeplakate, man kennt lächelnde Familien; erst unlängst habe er eine auf einem Werbeplakat für eine österreichische Bank gesehen, sagt Lum, deren Lächeln sei aber "leer" gewesen, nichtssagend.
Wenn Lum die Werbeästhetik aufgreift, dann zielt er auf die emotionale Ebene ab. Man soll berührt sein. Der Künstler legt es dabei darauf an, den Unterschied zum Gewohnten gerade so hoch anzusetzen, dass Betrachter stutzen. Welche Fragen schließlich auftauchen, überlässt er aber ganz ihnen, gezielte Absichten verfolgt er nicht. Sie können jedoch gravierend sein: In Peking habe sich Coming Soon gar als Beitrag zu Gentrifizierungsprotesten herausgestellt, erzählt der Künstler.
Die Arbeit war dort zuvor in einem Arbeiterviertel zu sehen, und sie gehört insofern in den Kontext der Pekinger Hutongs, als der Hintergrund des Fotos deren traditionelle Architektur zeigt. Es ist also ein durchaus auch ein interessantes Verpflanzungsexperiment, das die Kunsthalle Wien hier gestiftet hat.
Ein weiterer Fragenkomplex, der sich an Coming Soon anschließen könnte, ist jener der Bildpolitik: nach den Codes etwa, mit denen Porträtfotografie die Unterschiede zwischen den Menschen einebnet und sie typisiert. Dem wird sich eine Diskussionsrunde am Freitagabend annähern (siehe Infobox).
Unter anderem dürfte dort auch eine Arbeit zur Sprache kommen, die der Künstler 2004 vor den Gebäuden der Wiener Arbeiterkammer in der Prinz-Eugen-Straße realisierte. Im Rahmen der Ausstellungsreihe Arbeitswelten zeigte Lum eine Reihe von Bildern, auf denen "Mitarbeiter des Monats" zu sehen sind. Die Dargestellten, wiederum Angehörige unterschiedlicher Ethnien, tragen stolz Kapperl und Hemd Fastfoodkette namens "Schnitzel-Company", die natürlich fingiert ist. Ganz ähnlich wie jetzt in Coming Soon erforschte Lum auch hier vor allem ein bestimmtes "Muster" der Porträtfotografie; die Spannung zwischen der Einheitlichkeit der Kleidung und der Unterschiedlichkeit der Gezeigten.
Der Frage nach der Abstraktion des Menschlichen hat sich Lum in Wien indes auch in einer 2006 in der U-Bahn-Station Karlsplatz realisierten Arbeit gewidmet, die fast jeder Wiener kennt: Die Installation Pi zeigt etwa die Höhe des Schnitzelverzehrs und die Zahl der Landminenopfer in den gleichen rot leuchtenden Digitalziffern an. (Roman Gerold, DER STANDARD, 20.3.2015)