Die Angst vor dem Tod verbindet in "Lampedusa" eine ältere Dame mit einem Flüchtling aus Somalia.

Foto: Diagonale

Graz - Eigentlich fährt man zur Diagonale, um österreichische Filme zu sehen. Das bedeutet allerdings noch lange nicht, dass man dann auch Österreichbildern begegnet. Mit ein paar 100 Metern, die man von einem Kino zum nächsten zurücklegt, vermag man heuer von Kontinent zu Kontinent vorzurücken. In Eden's Edge von Gerhard Treml und Leo Calice schwebt man über der Mojave-Wüste, westlich von Los Angeles. Die Perspektive ist unorthodox, wie aus einem Kran herunter blickt man auf karge Settings, die wie Karten im Sand wirken. Autos haben Matchbox-Größe, Stühle werfen bizarre Schatten, ein rot-weiß-roter Kreis entpuppt sich erst nach langem Hinsehen als Ringelspiel.

Auch die Menschen, Zivilisationsflüchtige allesamt, die sich in der Wüste eine neue Identität geschaffen haben, sind nie gleich auszumachen. Wie Schnecken ziehen sie Schleifen, hinterlassen ihre Spuren wie eine Land- Art-Skulptur. Dass hier alles ein wenig irreal wirkt, trotz der dokumentarischen Recherche, hat Prinzip: Treml/Calice haben die Settings nämlich in Österreich als Modelle nachgebaut und die Figuren digital eingefügt.

Von der Mojave-Wüste geht es nach Lampedusa, auf jene Insel, die immer wieder durch Flüchtlinge aus Afrika für Schlagzeilen sorgt: Peter Schreiner, einer der unbeirrbaren Einzelgänger des heimischen Kinos, hat hier seinen neuen Film angesiedelt. In fragmentarischen Szenen umzirkelt er eine ältere Frau (Giuliana Pachner), die bei einem bärigen Bootskonstrukteur und seiner Frau eine Heimstatt gefunden hat.

Flucht und Abschied

Lampedusa ist ein Film über Ungewissheiten, weniger in einem sozialen als in einem existenziellen, ja metaphysischen Sinn. Sie habe Angst vor dem Tod, sagt die Frau, deren ausdrucksstarkes Gesicht Schreiner wie eine Skulptur in Close-ups ins Bild rückt. In einem geflüchteten Somalier findet sie ein Gegenüber, mit dem sie ihr Unbehagen teilen kann. Ein wunderbar auratisches Paar, das in kein gängiges Rollenprofil des Kinos passt: Sie wirken noch in ihrem Schmerz, im Leiden an der Welt unzerbrechlich. Das liegt nicht zuletzt an den hochauflösenden Schwarz-Weiß-Bildern, in denen Körper größte Plastizität erfahren.

Weiter geht's nach Lissabon: Eine Off-Stimme liest aus dem Brief eines portugiesischen Soldaten, den dieser 1918 an seine Mutter schreibt. Bald darauf wird man mit schwebendem Kamerablick durch eine großbürgerliche Altbauwohnung geleitet. Später wird sie geräumt, irgendwann zeugen nur noch helle Stellen an den Wänden vom alten Mobiliar. Davon ausgehend entfaltet sich in O que resta von Jola Wieczorek ein portugiesisches Jahrhundert in Fragmenten und Artefakten.

Es könnte die Chronik einer Familie sein, deren Mitglieder, die über Briefe in Verbindung bleiben, es nach Großbritannien, Deutschland, Mosambik, Brasilien und Bad Ischl verschlägt. Zugleich reflektiert das knapp 40-minütige Dokuessay der Oberösterreicherin den Wert der Dinge, die bleiben: Erinnerungen werden warenförmig, lagern im riesigen Freiluftdepot eines Händlers, das aus der Ferne aussieht wie ein Friedhof.

Der Kameramann und Produzent Peter Roehsler hat diesmal - neben Peter Kerns Der letzte Sommer der Reichen - drei eigene filmische Miniaturen mit nach Graz gebracht. "Gefundene Alltagsszenen", die er mit einer günstig erworbenen Digitalkamera festhält.

Eine davon öffnet den Blick auf eine Freibad-Liegewiese: ein Arrangement bunter Liegen, vereinzelte Badegäste. Ein Lautsprecher, aus dem zunächst sehr laut ein Evergreen des Instrumentalschlagers erklingt, bis eine Stimme höflich mahnt, dass es nun an der Zeit sei, das Bad zu verlassen, eine "Umkleidezeit von einer halben Stunde" wird selbstverständlich eingeräumt. Das Ganze heißt Badeschluss. Und wir sind unverkennbar wieder auf heimischem Boden. (Dominik Kamalzadeh, Isabella Reicher, DER STANDARD, 20.3.2015)