Foto: abz austria

Die Arbeitswelt befindet sich im Wandel, der Umgang der Unternehmen mit der Elternkarenz auch, sagt Manuela Vollmann, Gründerin des ABZ Austria, im Gespräch mit derStandard.at. Mittlerweile sei es nicht mehr "so abwegig", wenn auch Väter sich um ihre Familien kümmern.

Aktuelle Arbeitszeitmodelle, die immer öfter auch bei Männern ins Burnout führen, sollten laut Vollmann aber auch abseits der Frage nach der Vereinbarkeit überdacht werden. Sie selbst setzt auf Top-Job-Sharing, seit 18 Jahren führt sie so ein Unternehmen, das mittlerweile 130 Personen beschäftigt. Vollmann empfiehlt Eltern, nicht länger als 18 Monate in Karenz zu bleiben, um Nachteile für Beruf und Pension zu vermeiden.

derStandard.at: Sie beobachten seit zwei Jahrzehnten professionell den Themenkomplex "Vereinbarkeit von Beruf und Familie" und "Wiedereinstieg". Welche Entwicklungen stellen Sie fest?

Vollmann: Vor 20 Jahren wusste die Firmenchefs nicht einmal, was eine "Wiedereinsteigerin" ist. Heute sind die Unternehmen viel wacher, was die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und ihre Verantwortung dabei betrifft. Das Bewusstsein ist da, dass Unternehmensstrukturen dazu beitragen, dass wir in Österreich zu wenige Kinder haben. Das heißt nicht, dass es nicht noch genügend Unternehmen gibt, die Frauen nicht einstellen, weil sie Angst vor dem Risiko Schwangerschaft haben. Eine schlimme Entwicklung ist aus meiner Perspektive die zunehmende Teilzeitbeschäftigung vor allem von Müttern.

derStandard.at: Was ist an der Tendenz zu Teilzeit so schlimm?

Vollmann: Das Thema Teilzeit als Armutsfalle ist aktueller denn je. Nach dem Wiedereinstieg wird das Ursprungsgehalt der Mütter oftmals durch ein verhältnismäßig niedriges Teilzeitgehalt ersetzt. Qualitätsvolle Teilzeitarbeit ist selten, und in den Führungsetagen österreichischer Unternehmen sitzen auch im Jahr 2015 fast ausschließlich Männer. Frauen verdienen nicht nur weniger und haben in Teilzeit schlechtere Karrieremöglichkeiten, sondern bei längerer Teilzeitarbeit auch später eine entsprechend niedrige Pension.

Wir investieren in die Bildung von Frauen und lassen diese Ressource dann liegen. Nach wie vor lässt die Qualität und Quantität der Kinderbetreuungsplätze in Österreich nicht nur bei Kindern unter drei Jahren zu wünschen übrig. Kinder müssen bis etwa zwölf oder 13 Jahre am Nachmittag versorgt, betreut und unterstützt werden. Frauen leisten diese Arbeit für den Staat.

Die Statistik zeigt übrigens, dass zwar Mütter beispielsweise auf 20 Stunden reduzieren, die Väter aber im Gegenzug mehr arbeiten als vor den Kindern. Das ist weder gut für die Wirtschaft noch für die private Situation von Männern und Frauen.

derStandard.at: Zwei Vollzeitjobs mit kleinen Kindern sind aber kaum zu schaffen.

Vollmann: Stimmt. Die Menschen arbeiten, um zu leben. Es wird immer wichtiger, die Arbeitsbedingungen so zu gestalten, dass wir lange, gesund und zufrieden arbeiten können. Etwas, worauf wir setzen, ist das "lebensphasenorientierte Arbeitszeitmodell". Eltern oder auch pflegenden Personen sollten einige Jahre ihres Arbeitslebens zeitlich reduzieren können, ohne massive Einkommenseinbußen akzeptieren und ihre Karrieren unterbrechen zu müssen. Ein interessantes Modell in dieser Hinsicht wurde gerade in Deutschland diskutiert (Elterngeld plus, Anm.). Die Eltern reduzieren ihre Arbeitszeit, der Staat bezahlt einen Zuschuss zum Gehalt.

derStandard.at: Ließe sich das in Österreich derzeit finanzieren?

Vollmann: Warum nicht? Ähnliche Modelle wie die Kurzarbeit konnten bereits finanziert werden. Das politisch durchzusetzen braucht natürlich Mut, Rückgrat und den Willen, soziale Innovation voranzutreiben. Investitionen dieser Art rechnen sich. Man muss es nur wollen.

derStandard.at: Will man nicht?

Vollmann: Das jetzige Modell – der Mann arbeitet 60 Stunden und bedient die Strukturen, die Frau arbeitet 20 Stunden und erledigt die Erziehungsarbeit – ist für den Staat ein angenehmes. Aber verstehen Sie mich nicht falsch, ich möchte nicht alles schlechtreden. Ganz im Gegenteil, ich habe den Eindruck, dass wir derzeit zumindest auf ein "Window of Opportunity" zusteuern. Für Unternehmen ist es auch nicht mehr so abwegig, dass Männer Verantwortung in der Familie übernehmen.

Die Arbeitswelt wird stetig herausfordernder, gute Fachkräfte sind immer schwerer zu bekommen. Die Unternehmen müssen also etwas bieten, um die Besten zu bekommen. Und wenn die Politik zum Beispiel das bereits existierende Elternteilzeitmodell für die Unternehmen attraktiver gestalten würde, würde sich auch schnell ändern, dass nur Frauen in Karenz gehen. Vater und Mutter können im Rahmen des Modells bereits jetzt parallel zum Beispiel auf 30 Stunden reduzieren.

derStandard.at: In anderen europäischen Staaten wie zum Beispiel Frankreich geht ein Großteil der Frauen, nicht zuletzt aus Mangel an Kinderbetreuungsgeld-Modellen, gleich wieder arbeiten. Besser?

Vollmann: Ich finde es sehr gut, dass in Österreich Mütter und Väter die Möglichkeit haben, nach der Geburt ihrer Kinder etwas runterzufahren. Das sollte auch in Zukunft so bleiben. Leben und Arbeiten muss in Balance gehalten werden können, wie gesagt, lebensphasenorientiert, nicht auf Dauer. Das lange Karenzmodell allerdings (Variante 30 plus 6, Anm.) sollte meiner Meinung nach abgeschafft werden. Das bringt niemandem etwas, auch nicht den Kindern.

derStandard.at: Wie lang sollte man maximal aussteigen? Was raten Sie Frauen, die zu Ihnen kommen?

Vollmann: Unter Berücksichtigung der aktuellen Rahmenbedingungen – eben zum Beispiel in Bezug auf die Infrastruktur der Kinderbetreuung – etwa 18 Monate. Und dann sollte man wieder langsam einsteigen. Natürlich empfehlen wir den Eltern nicht, ihre 18 Monate alten Kinder gleich von 9 bis 18 Uhr in eine Betreuungseinrichtung zu geben. Step by Step ist das Rezept. Im Anschluss ist ja dann Elternteilzeit – aber für Väter und Mütter – möglich.

derStandard.at: Sie haben zwei Töchter. Wie haben Sie selbst das gehandhabt?

Vollmann: Ich selbst bin bei meiner Jüngeren als Selbstständige gleich nach dem Mutterschutz wieder mit circa zehn Stunden eingestiegen. Das ging deshalb, weil meine Mutter und mein Mann mithalfen und ich außerdem Top-Job-Sharing machte und immer noch mache. Es gibt viele Frauen, darunter speziell auch Alleinerzieherinnen, die keinen familiären Background zur Unterstützung haben, und auch für diese Frauen braucht es Lösungen.

derStandard.at: Top-Job-Sharing – wie wirkt sich das aus, und wird das auch anderswo schon gelebt?

Vollmann: Zu den Auswirkungen von Top-Job-Sharing gibt es noch keine Studien. Wir machen das hier seit 18 Jahren, und in Österreich wird das in einigen großen Unternehmen ebenfalls schon gelebt. Wir teilen uns die strategische Verantwortung und haben zusätzlich Hauptverantwortungsbereiche. So können wir auch noch auf der Ebene der Bereichsleitung einiges abdecken.

Der große Vorteil für das Unternehmen ist also, dass man sehr gut stretchen kann und so flachere Hierarchien hat. Die "doppelten Kosten", vor denen sich viele Unternehmen scheuen, existieren also nicht. Im Gegenteil: Man kann beispielsweise auf der nächsten operativen Ebene Personen einsparen. Außerdem ist man nie abgehoben in seinen Entscheidungen. Ein doppelter Boden sozusagen, ohne doppelte Kosten. Derzeit gibt es übrigens bei uns eine auffallende Nachfrage von Unternehmen, die sich für dieses Modell interessieren.

derStandard.at: Top-Job-Sharing machen vermutlich nur Frauen.

Vollmann: Top-Job-Sharing ist im Moment vorrangig ein Thema für Frauen. Das ist halt so. Bei diesem Thema sind Frauen die treibende Kraft. Aber es ist ganz klar: Führung muss prinzipiell neu gedacht werden. Immer mehr Männer in führenden Positionen schlittern ins Burnout. Arbeitszeitmodelle, wie Leistung gemessen wird, das muss alles neu aufgesetzt werden. Die qualifizierten Arbeitskräfte werden weniger. Arbeitgeber müssen im Sinne von "Employer Branding" mehr bieten, um bei den heutigen Anforderungen auch attraktiv zu bleiben und um die Talente zu bekommen. Und das ist nicht "nur ein Frauenthema", sondern essenziell für die gesamte Wirtschaft.

derStandard.at: Was raten Sie Betrieben beim Thema Babypausen und Wiedereinstieg?

Vollmann: Offensiv mit dem Thema Elternteilzeit umzugehen und die Eltern, vor allem auch Väter dabei zu unterstützen, Arbeitszeit zu reduzieren. Denn das hilft einerseits den Vätern, die für ihre Kinder da sein können, und andererseits den Frauen, schneller wieder aus der Karenz zurückzukehren. (Manuela Honsig-Erlenburg, derStandard.at, 30.3.2015)