Gabi (Ulrike Beimpold) wird in Karl Markovics' "Superwelt" mit religiöser Zwangsbeglückung zurück auf den Weg des Lichts gebracht.

Foto: Thimfilm

Wien – Vogelperspektive nennt man beim Film jene Einstellungsgröße, die einen vertikalen Blick auf die Erde erlaubt. In Karl Markovics' "Superwelt" kommt sie gleich öfters zum Einsatz, ohne dass sie eindeutig einem Subjekt zugeschrieben wird. Wenn man will, kann man sie jenem unsichtbaren Protagonisten zuschreiben, der darin für Unruhe sorgt: dem lieben Gott, der hinunter auf uns Erdenwürmer schaut, auf dieses Gewusel am Fleckerlteppich, in dem jeder seine Bahnen zieht.

Die Köpfe gen Himmel

In Markovics' zweitem Regiewerk, das am Dienstag die Diagonale eröffnet hat, gibt es jedoch auch eine Art Replik auf diesen Blick: Wiederholt kommt darin das Geschehen kurz zum Stillstand. Die Menschen heben ihre Köpfe gen Himmel, wo sich Merkwürdiges tut. Ein nächtliches Feuerwerk oder ein Schwarm Möwen, der in dieser ländlichen Gegend eigentlich nichts verloren hat. Über die Gesichter der Figuren legt sich ein Schleier, so als blickten sie kurz in sich selbst.

Man sieht schon, "Superwelt" ist ein Film, der die profane Welt des Bestattungsinstituts von "Atmen" hinter sich lässt, um sich einer Idee von Transzendenz zu verschreiben. Die zentrale Figur heißt Gabi (Ulrike Beimpold), arbeitet als Kassiererin in einem Supermarkt und lebt mit Mann (Rainer Wöss) und fast erwachsenem Sohn ein Leben wie tausend andere auch. Der Job ist einförmig, die Ehe im Modus freundlicher Nichtbeachtung erstarrt. Doch dann passiert etwas mit Gabi, sie beginnt Irritationen wahrzunehmen, gerät merkbar aus dem Takt. Markovics inszeniert das zunächst wie einen Spuk – als käme die Gefahr von außen: Dringt da ein Geräusch aus dem abgeschalteten Fernseher?

Religiöse Beglückung

Der US-Filmemacher Todd Haynes hat in seiner beklemmenden Gesellschaftsstudie "Safe" (1995) einmal davon erzählt, wie eine Frau an ihrer Umwelt erkrankt und schließlich einen spirituellen Ausweg sucht. Markovics geht gewissermaßen den umgekehrten Weg, indem er sich nicht lange mit den sozialen Symptomen seiner Heldin aufhält, sie aber als Objekt einer religiösen Zwangsbeglückung auserwählt.

Gabi hört Stimmen, sie glaubt: göttlichen Ursprungs – das behält sie aber, im Wissen darüber, dass dies etwas überspannt klingen muss, lange Zeit für sich. Und so läuft alles rund um sie einfach weiter wie bisher.

Der Film versucht jedoch die Ebenen zusammenzuführen, er will Gabis Krise mit einer ignoranten Umwelt konfrontieren, den Stumpfsinn mit dem Wahnsinn entlarven. Das macht aus "Superwelt" einen seltsam zerrissenen Film. Markovics bedient sich zu unterschiedlicher Strategien, sie wollen sich nicht stimmig ineinanderfügen.

Komödiantischer Zugang

Während in den Begegnungen mit der Familie eher ein komödiantischer Zugang dominiert – die Dialoge mit dem Ehemann sind richtiggehend doppelbödig –, erhalten Gabis Ausflüchte und Treffen mit Fremden in den näheren Äckern und Weiden der Umgebung einen surrealen Anstrich.

Das Dilemma der Heldin bleibt in "Superwelt" dennoch eigenartig folgenlos. Man hätte der von Beimpold beherzt gespielten Heldin mehr Erkenntniskraft gewünscht, sich aus eigener Kraft aus ihren Routinen zu befreien, doch wie der Film bleibt sie auf halbem Weg stecken. Irgendwann ist dann auch Gott wieder weg – oder da oben, wo er die ganze Zeit war. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD, 19.3.2015)