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Premier Matteo Renzi hat ein Problem: Ein Minister seines Koalitionspartners könnte die Regierung in den Abgrund reißen.

Foto: APA/EPA/GIUSEPPE LAMI

Italien hat schon geglaubt, mit dem Ende der Ära Berlusconi auch das Thema Korruption überwunden zu haben, dem ist nicht so. Im Zentrum eines neuen Skandals steht der 70-jährige Ercole Incalza: Bis vor kurzem war er im Infrastrukturministerium zuständig für Projektierung und Vergabe öffentlicher Bauvorhaben. Er wanderte am Montag zusammen mit drei befreundeten Unternehmern hinter Gitter. Weitere 47 Personen, gegen die ermittelt wird, befinden sich noch auf freiem Fuß, darunter Politiker jeder Couleur.

Incalza und seinen mutmaßlichen Komplizen wird vorgeworfen, sich bei der Vergabe öffentlicher Aufträge durch Schmiergelder und die künstliche Aufblähung der Kosten massiv bereichert zu haben.

Die Dimensionen der Korruptionsaffäre scheinen enorm zu sein: Es geht um Bauvolumen von über 25 Milliarden Euro. Betroffen sind die größten Infrastrukturprojekte Italiens der letzten Jahre: der Bau der Hochgeschwindigkeitstrassen für die "Frecciarossa"-Schnellzüge; außerdem die kurz vor ihrer Eröffnung stehende Expo 2015 in Mailand; dann die Autobahnen zwischen Salerno und Reggio Calabria und von Civitavecchia; nicht zu vergessen die Linien 4 und 5 der Mailänder Metro sowie die Linie C der U-Bahn in Rom; und natürlich die Hafenerweiterungen von Olbia und Triest – und noch vieles andere mehr.

Infrastrukturminister Lupi involviert

Die Baukosten der Projekte sind laut der Staatsanwaltschaft von Florenz durch die Machenschaften des Korruptionsrings um bis zu 40 Prozent über Plan gestiegen. Brisant ist der Skandal auch deswegen, weil in den Ermittlungsakten immer wieder der Name von Infrastrukturminister Maurizio Lupi auftaucht. Es war Lupi, der schon vor einem Jahr dafür gesorgt hatte, dass Incalza auf seinem Posten bleiben durfte, als Oppositionspolitiker Beppe Grillo bereits lautstark und vehement dessen Absetzung forderte.

Lupis Sohn wiederum hatte von einem der verhafteten Unternehmer zum Studienabschluss eine Rolex-Uhr geschenkt bekommen; außerdem hatten einflussreichen Freunde Lupis dafür gesorgt, dass der junge Mann sogleich einen attraktiven Job fand: zuerst beim Energieversorger Eni, dann in einem Planungsbüro in New York.

Verdacht gegen Minister Lupi

In einem Land, in welchem 40 Prozent der 18- bis 25-Jährigen keine Arbeit finden, löst die Vorzugsbehandlung des Ministersprösslings beinahe noch mehr Empörung aus als die Milliarden-Mauscheleien bei den Bauvergaben. Auch der Umstand, dass Incalza seinen Beamtenjob über 30 Jahre und sieben Regierungen lang behalten konnte, obwohl gegen ihn in dieser Zeit 14 Ermittlungsverfahren geführt worden waren, nährt den Volkszorn. Die Affäre sei "ein Selfie unseres Landes", schrieb "La Stampa".

Für die Regierung von Renzi könnte die Affäre weitreichende Folgen haben: Beppe Grillos M5S sowie die linksökologische SEL von Nichi Vendola haben am Mittwoch im Parlament einen Misstrauensantrag gegen den Infrastrukturminister eingereicht. Lupi gehört dem Nuovo Centrodestra (NCD) des Berlusconi-abtrünnigen Innenministers Angelino Alfano an, Renzis wichtigstem Koalitionspartner.

Fällt Lupi, könnte auch die Regierung stürzen: Ohne NCD hat Renzi im Senat keine Mehrheit. Der Premier wird Lupi kaum verteidigen können, ohne sein Saubermann-Image aufs Spiel zu setzen; er kann nur hoffen, dass der Minister von sich aus den Hut nimmt. Dies hat Lupi bisher aber ausgeschlossen. "Wir müssen nicht lange um den heißen Brei reden: Wir haben ein Problem", soll Renzi im Kreis von Vertrauten gesagt haben. (Dominik Straub aus Rom, DER STANDARD, 19.3.2015)