Die Bühne war bereitet für den Gewaltausbruch in Frankfurt: Griechenland steht am Scheideweg, die Arbeitslosigkeit ist enorm, und eine Staatspleite droht. Gleichzeitig explodiert der Aktienmarkt, auch weil die Europäische Zentralbank (EZB) die Märkte mit Geld flutet.

Das hilft Banken und Aktionären – also den Reichen, meinen Kapitalismuskritiker –, während den Armen in Griechenland und anderen Krisenländern immer neue Spardiktate vorgesetzt würden. Und mitten in dieser brenzligen Lage weiht die EZB ihren spektakulären, milliardenschweren Neubau am Mainufer ein.

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Tarek Al-Wazir, stv. Ministerpräsident von Hessen, EZB-Chef Mario Draghi und der Frankfurter Bürgermeister Peter Feldmann (v.li.) eröffnen das neue Hauptquartier der EZB.
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Deshalb wurde Frankfurt schnell zu dem auserkoren, was es am Mittwoch wie befürchtet auch wurde: ein Konfliktfeld für kapitalismuskritischen Protest und ein Ort für einen massiven Gewaltausbruch. Die Organisatoren des Protests stehen diesem ratlos gegenüber: "Das ist nicht das, was wir geplant haben", sagt Blockupy-Anmelder Ulrich Wilken, der für Die Linke im hessischen Landtag sitzt.

Der Schuldige an der Misere scheint aber schnell gefunden: die EZB. Zu Recht? Oder ist die EZB nur ein Sündenbock für die Politik in Europas Hauptstädten – und vor allem für Fehler in den betroffenen Ländern?

So sieht es jedenfalls EZB-Präsident Mario Draghi. Dass einige Staaten schwierige Reformen durchführen müssten, sei ihnen nicht von außen vorgeschrieben worden, betont der Italiener in seiner Rede zur Eröffnung der gläsernen Doppeltürme: "Es ist eine Konsequenz ihrer früheren Entscheidungen."

Zumindest war der Protest in Frankfurt europäisch: Unter anderem hatten sich spanische Protestler organisiert. An den brennenden Mülltonnen wurde italienisch gesprochen, auch griechische Demonstranten gingen rund um die Hochhäuser der Bankenmetropole auf die Straße. Die Massen friedlich, ein kleiner Block vermummt, aggressiv und ausgerüstet für einen Tag des Zorns.

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Die feierliche Eröffnung des EZB-Hauptquartiers findet abgeschirmt statt.
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Für den Deutschen Gewerkschaftsbund, Veranstalter einer der größeren Protestzüge am Dienstag, ist die EZB nur eines von vielen möglichen Symbolen für den Protest gegen die europäische Krisenpolitik. "Man könnte genauso gut vor dem Bundeskanzleramt, dem Bundesfinanzministerium, den Großbanken oder der EU-Kommission demonstrieren", sagt Frankfurts DGB-Chef Harald Fiedler. Der imposante EZB-Neubau biete sich jedoch besonders an.

Kommt hinzu, dass Frankfurt als traditioneller Sitz der EZB und als eine der europäischen Bankenmetropolen seit Jahren ein symbolträchtiger – und seit Jahrzehnten protestoffener – Schauplatz ist: Bereits im Mai 2012 hatten bei der ersten Demo des linken, bankenkritischen Blockupy-Bündnisses rund 20.000 Menschen friedlich demonstriert, ein Jahr später gingen die Kritiker erneut gegen das Krisenregime der EU auf die Straße. Und bereits wenige Monate später, im November 2013, wurde der Tag der Eröffnung des Neubaus als Tag des Protestes auserkoren. Die Notenbank als Symbol.

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Natürlich weiß EZB-Präsident Draghi um das Feindbild der jüngsten Proteste: Viele Menschen hätten in den vergangenen Krisenjahren Einkommen und Wohlstand verloren, sagt er bei der Feier vor der kleinen Schar ausgesuchter Gäste. Deshalb sei die EZB als eine zentrale Institution der Europäischen Union in der Krise in den Fokus der Frustrierten geraten. "Möglicherweise ist dieser Vorwurf nicht fair", sagt Draghi: "Denn unser Handeln zielt genau darauf ab, die wirtschaftlichen Schocks abzufedern."

Was Europas oberster Währungshüter nicht direkt sagt: Ohne die Milliarden der Notenbank und der Euroländer wäre zumindest Griechenland vermutlich längst pleite, die Wirtschaft dort am Boden und die Armut noch viel größer.

Die EZB-Spitze hatte ganz bewusst auf eine große Feier zur Eröffnung verzichtet. Für das Ausmaß der Gewalt in Frankfurt spielte das anscheinend aber keine Rolle. Denn im Schatten der Kapitalismuskritiker reisen schon seit Jahren gewaltbereite Autonome aus ganz Europa gezielt zu Anlässen wie dem G-8-Treffen der größten Industrienationen, zu Wirtschaftskongressen – und eben auch zur EZB. (APA, Reuters, 18.3.2015)