Die isländische Musikerin Björk arbeitet sich auf ihrem Album "Vulnicura" an einer gescheiterten Beziehung ab. Streicher bemühen sich um Trost, doch der ist nicht einfach.

Foto: One Little Indian

Wien - Das Internet hat's verhaut. Wieder einmal. So schön wäre es gewesen. Zeitgleich mit der Eröffnung einer Ausstellung zum Gesamtkunstlebenswerk Björk im New Yorker Museum of Modern Art hätte Vulnicura erscheinen sollen. Doch das Netz und die sich darin umtreibenden Tunichtgute haben nicht dichtgehalten.

Es tropfte bereits im Jänner, da half auch die Dichtung nicht mehr - das Buch Björk: Archives erscheint Ende März -, das neunte Album von Björk verbreitete sich im Netz. Sie veröffentlichte es daraufhin online, nun ist es hierzulande als physischer Tonträger erschienen. Das wesentliche Merkmal darauf sind die Streicher, nur die Anstreicher streichen noch mehr, aber Björk hat es bitter notwendig, denn streichen kommt von streicheln oder umgekehrt. Jedenfalls bedarf sie dieser Geste des Trosts ganz besonders, denn Vulnicura ist quasi ein Konzeptalbum zum Thema Beziehungsende. Eine therapeutische Arbeit, die ihre 2013 vollzogene Trennung von ihrem Partner aufarbeitet, dem US-amerikanischen Künstler Matthew Barney, mit dem sie seit 2002 eine Tochter hat.

Björk

Wie Tupfer Wunden reinigen, verwendet die 49-jährige Isländerin Björk Guðmundsdóttir die Streichinstrumente. Entsprechend behutsam, entsprechend wattiert fällt das Album aus, umgeht dabei dennoch barocke Abgründe oder jene des klassischen Pathos. Aufbereitet ist das Werk als Chronik eines angekündigten Herzschmerzes. Der schleicht sich langsam ein, führt unbeirrt in die persönliche Katastrophe. "Show me emotional respect / I have emotional needs", klagt sie schon im ersten Lied und sehnt sich danach, ihre Gefühle mit jenen ihres Partners iPod-mäßig zu "synchronisieren".

Das Drama beginnt neun Monate vor dem Beziehungsende, elf Monate danach verliert Björk die Lust, die verstreichenden Mondphasen weiter zu zählen, die letzten drei Lieder dieses Triptychons suggerieren eine leise Regeneration mit ein paar Rückfällen.

Blut statt Lulu

Diese Rückfälle setzt ihr der britische Produzent Bobby Krlic akustisch um. Der als The Haxan Cloak arbeitende Musiker gilt als Fachkraft für düstere, bassderbe Stimmungen, in denen Björk ihren Schmerzensgesang bettet. Trotzig oder zerdehnt, mit bebender oder fester Stimme. Aus dem Wechselspiel von Filigranem und der Heaviness von Bässen und Beats bezieht Vulnicura seine Dynamik. Björk ringt derweil in ihren Texten, über die sie in Interviews zum Album nicht zu sprechen vermag, mit dem Verlust.

Welch Wunde ihr zugeführt wurde, zeigt sie im Booklet des Albums. Darin sieht man eine Frau rücklings gebeugt auf einem Plateau liegen wie aufgebahrt, wie rituell geschändet. Auf ihrer Brust klafft eine vulvaförmige Narbe, als hätte man ihr das Herz dergestalt herausgerissen. Das wirkt zwar übertrieben und vom strapazierten Expressionismus her over the top, aber gut: Björk hat vor drastischen Inszenierungen nie zurückgescheut.

Gleichzeitig fällt einem dazu die Künstlergruppe Gelitin mit ihren Skulpturen ein, die hätten das nicht besser hinbekommen. Doch wo bei Gelitin das Lulu fröhlich pritschelt, ist bei Björk nur dumpf pochender Schmerz, gestocktes Herzblut. Ein Gastauftritt von Antony Hegarty alias Antony and the Johnsons spendet wenig Trost, er teilt das Leid nicht auf, stützt aber ihren sich windenden Gesang.

Die Kunst der Zumutung

Dass all diese Gefühligkeit nie unerträglich wird, ist das eigentliche Kunststück dieses Exorzismus. Was Björk ihrem Publikum zumutet, ist viel, doch sie portioniert ihren Schmerz in den neun Liedern wie eine Zuckerbäckerin so, dass der Magen als Gemütsbarometer die Portionen gerade noch behält. Was bei all dem überrascht: Wut spielt bei Björk scheinbar keine Rolle, zumindest versagt sie sich deren konventionelle Übersetzung in heftige Ausbrüche. (Karl Fluch, DER STANDARD, 18.3.2015)