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Die Meeresechse lebt nur auf den Galápagosinseln. Auf Floreana scheint aber historisch gesehen eher der Mensch die "bedrohte Art" zu sein.

War ja klar. Just als sich die Silver Galápagos der kleinen Insel Floreana am südlichen Rand des Galápagos-Archipels nähert, verfinstert sich der Himmel. Das ist es dann wohl gewesen nach zehn Tagen strahlenden Sonnenscheins - willkommen am düsteren Ende der Welt!

Tatsächlich hört hinter Floreana die Welt auf. Wenn Capitano Karin Chacon sein Kreuzfahrtschiff Richtung Westen steuern würde, läge eine endlose Wüste aus Wasser vor ihm. Und dann käme irgendwann Papua-Neuguinea. Richtung Osten würde er nach 1000 Kilometern auf Ecuador stoßen, in Richtung Südwesten nach 3000 Kilometern auf die Osterinsel. "Aber es gibt ja gar keinen Grund, von hier wegzufahren", sagt Chacon. Er muss es wissen, als ehemaliger Tankerkapitän kennt er jeden Winkel des Planeten. Um heute aus Überzeugung sagen zu können: "Das Galápagos-Archipel ist das schönste Ende der Welt!"

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Floreana ist anders als ihre großen Schwestern San Christóbal oder Santa Cruz. Das Innere der Insel ist üppig grün, im Westen dominieren schwarze Strände.

Dabei ist Floreana ganz anders als ihre großen Schwestern San Christóbal oder Santa Cruz. Das hat sicher mit den Wolkenhaufen zu tun, die sich oft am 640 Meter hohen Cerro Pajas stauen, dort Nebel bilden, die eine Quelle speisen und dem gebirgigen Inselherz seine üppige Vegetation bescheren. Vielleicht auch mit dem schwarzen Strand aus feinem Vulkansand im Westen der Insel. Vor allem aber hat es mit einer Spezies zu tun, die auf den anderen Inseln neben Riesenschildkröten, Meeresechsen und Blaufußtölpeln ein Schattendasein fristet: Menschen. Nur fünf der rund 130 Inseln sind besiedelt, Floreana ist eine davon.

Mitten auf dem Pier thront auf einem Sockel der goldene Torso von Rolf Wittmer, dem ersten auf Floreana geborenen "Insulaner".
Foto: Elian Ehrenreich

Als sich das Schlauchboot der Silver Galápagos dem Hafen nähert, sieht man Meeresechsen am Rande der Kaimauer balancieren, während sie von einem gelangweilten Pelikan beobachtet werden. Mitten auf dem Pier thront auf einem Sockel der goldene Torso eines Mannes, der auf den ersten Blick ein wenig an Mao erinnert. Doch nicht dem Begründer der chinesischen Volksrepublik ist das Denkmal gewidmet, sondern Rolf Wittmer, dem ersten auf Floreana geborenen "Insulaner". Und schon befindet man sich mitten in Puerto Velasco Ibarra, dem einzigen, etwa 100 Einwohner zählenden Ort des fast kreisrunden, 173 Quadratkilometer großen Eilandes.

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Die kleinen Naturhäfen von Floreana erreichen Kreuzfahrer nur mit dem Schlauchboot.

Die rechts vom Hafen liegende Wittmer Lodge bietet Schutz, als es plötzlich wie aus Schaffeln schüttet. Ein paar Kinder genießen das, hüpfen jauchzend im tropischen Regen umher, schließlich fliehen auch sie unter das schützende Dach der Lodge. "Hat et begonnen zu rechnen?", fragt eine alte Frau, die in der Küche der kleinen, 20 Gästezimmer fassenden Lodge arbeitet, im breitesten Kölsch. Ingeborg Floreana Wittmer heißt die 77-Jährige.

Chronik an der Wand

Fragen nach der Inselgeschichte, nach der Herkunft ihrer Familie, blockt die alte Dame brüsk ab. "Lesen 'Se das Buch meiner Mutter Margret, da steht alles drin", sagt sie und verweist auf den kleinen Souvenirladen im Hotel, wo man es für etwas weniger als 25 Euro kaufen kann. "Oder schauen Sie sich unsere Chronik hier an der Wand an. Mehr gibt es darüber nicht zu erzählen", murmelt sie, während sie im Speisesaal die Tische deckt. Ihre 50-jährige Tochter Erika betreibt das kleine Hotel mit Meerblick. Der Raum mit dem großen Panoramafenster zum Meer wirkt wie ein Museum, vollgestopft mit alten Haushaltsgeräten und den bebilderten Dokumentationen an den Wänden, die die Geschichte der ersten Inselbesiedlung vor 86 Jahren erzählen.

Ingeborg Wittmer (rechts), die letzte Überlebende der erste Siedlergeneration, und ihre Tochter Erika.
Foto: Elia Ehrenreich

Eingeweihte wissen, dass Ingeborg Wittmer die letzte Überlebende der ersten Siedlergeneration ist. Ihre Geschichte ist auch die Geschichte der Besiedlung Floreanas, die im September 1929 mit der Ankunft des aus dem deutschen Wollbach stammenden Arztes und Hobbyphilosophen Friedrich Ritter beginnt, der sich hier zusammen mit seiner Geliebten und Expatientin Dore Strauch niederlässt. Ehepartner, Familie sowie die von Wirtschaftskrise und politischer Instabilität erschütterte Heimat lassen die Aussteiger hinter sich. Ihre neuen Angewohnheiten sind recht speziell: Ritter schwärmt vom Zivilisationskritiker Friedrich Nietzsche, zumeist läuft das Paar nackt herum. Beide lassen sich die Zähne ziehen, um in der Einöde Zahnkrankheiten vorzubeugen. Über ihren Aussteigeralltag am Ende der Welt berichten sie diversen Magazinen.

Inspiriert von der Illustrierten

Einer dieser Artikel in der Berliner Illustrierten inspiriert drei Jahre später den aus Köln stammenden 42-jährigen Heinrich Wittmer, auf Floreana eine neue Heimat zu suchen. Den erzkonservativen Wittmer - ein Mitarbeiter des damaligen Kölner Bürgermeisters Konrad Adenauer, der zwei Jahrzehnte später erster Kanzler der Bundesrepublik werden soll - begleitet seine 14 Jahre jüngere Ehefrau Margret und deren 1918 in erster Ehe geborener Sohn Harry.

Die "Kaiserin von Floreana"

Doch der Naturalist Ritter fühlt sich durch die Neuankömmlinge gestört. Endgültig vorbei mit dem Inselfrieden ist es, als ein halbes Jahr später eine dritte Gruppe Aussteiger landet: eine Österreicherin, die sich als Baronesse Eloise Wagner de Bousquet ausgibt, kommt in Begleitung ihrer zwei deutschen Liebhaber - es ist der Auftakt zu einer frühen Dokusoap. Die egomanische und offenbar dreiste Hochstaplerin lässt sich in amerikanischen Magazinen als "Kaiserin von Floreana" feiern, erhebt umgehend Besitzanspruch auf die einzige Quelle, was einer Kriegserklärung an Ritter und die Wittmers gleichkommt. Auch innerhalb der "Baronesse-Gruppe" gärt es: Rudolf Lorenz, einer der Liebhaber, beschwert sich bei den Wittmers, von der angeblichen Baronesse und seinem Nebenbuhler Robert Phillipson gedemütigt und als Arbeitssklave missbraucht zu werden.

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Die Österreicherin Eloise Wagner de Bousquet in ihren "kaiserlichen" Gemächern auf Floreana.
Foto: Smithsonian Institution Archives, Waldo Schmitt Papers, Record Unit 7231, Box 89, Image Number: SIA2011-1124.

Immer wieder besuchen reiche Yachtbesitzer die Insel, sodass heute sogar Filmaufnahmen der Siedler überliefert sind. Der Konflikt in dieser frühen Variante des Dschungelcamps eskaliert, als die Österreicherin und der von ihr favorisierte Liebhaber im März 1934 plötzlich verschwinden. Zurück bleibt nur der gemobbte Lorenz. Da kein Schiff in der Nähe war, das sie hätte mitnehmen können, kommt rasch der Verdacht auf: Beide sind einem Mordanschlag zum Opfer gefallen. Zu den möglichen Tätern gehört jeder auf der Insel: natürlich Lorenz, aber auch Ritter, Dore Strauch und die Wittmers.

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Eloise Wagner de Bousquet, Robert Lorenz (links) und Rudolph Phillipson (oben).
Foto: Smithsonian Institution Archives, Waldo Schmitt Papers, Record Unit 7231, Box 89, Image Number SIA2011-1127

Dann geht es Schlag auf Schlag: Lorenz verlässt die Insel, erleidet aber Schiffbruch und verdurstet. Ritter, der bekennende Vegetarier, stirbt nach dem Verzehr verdorbenen Hühnerfleisches. Im Todeskampf haucht er seiner Freundin zu: "Ich verfluche dich im letzten Augenblick" - Dore Strauch kehrt zurück nach Deutschland, stirbt dort an einer Herzerkrankung. Am Ende bleiben der Insel nur die Wittmers erhalten - und ein Mysterium.

Als der Regen aufhört, sieht die Insel schlagartig freundlicher aus. Das noch feuchte Vulkangestein dampft in der Mittagssonne. Im Restaurant El Oasis de La Baronesa, benannt nach der skurrilen Österreicherin, wischt ein Angestellter Tische und Sessel trocken. Der Ort wirkt wie ausgestorben. Zwei Kilometer hinter der Siedlung befindet sich der Friedhof. Hier liegen sie in stiller Eintracht - die Wittmers, Ritter und einige Insulaner, die erst später nach Floreana kamen.

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Die Landungstreppe am Haupthafen von Floreana wird nicht allzu oft von Menschen benutzt.

Nicht viele Touristen verirren sich auf das Eiland. Tagesbesucher wie Nina Delgado und ihre Freundin Orietta Warton Tapia aus Lima wollen vor dem schwarzen Strand schnorcheln - als Tauchparadies ist die Insel für ihre Hammerhaie, Rochen und Delfine berühmt. Die kleine Fähre Luna Azul bringt die Frauen am Abend zurück nach Puerto Ayora auf der Hauptinsel Santa Cruz, zwei Stunden braucht Kapitän Peter für die Tour. Sein Schiff und die Silver Galápagos, die Floreana zweimal im Monat für wenige Stunden ansteuert, sind die einzigen regelmäßigen Besucher. Doch Floreanas dunkles Geheimnis bleibt den meisten Gästen verborgen. Dafür kennt es jeder Galapagueño.

Der Geist der Baronesse

Die 49-jährige Yvonne Mórtola, die an Bord der Silver Galápagos als Guide arbeitet, erinnert sich, wie sie vor etwa drei Jahrzehnten erstmals im Gästehaus von Rolf Wittmer, der damals noch lebte, übernachtete. "Meine Mutter warnte mich im Vorfeld vor dem ,Geist' der Baronesse, der angeblich auf der Insel herumspukt. Als ich dann allein in meinem etwas abgelegen Apartment ins Bett ging, konnte ich vor Angst kein Auge zutun. Und tatsächlich hörte ich nachts ein Poltern - irgendwann flog das Fenster auf - und dann sah ich einen der auf Floreana verbreiteten Wildesel, der seinen Kopf ins Zimmer steckte und laut ,iah' kreischte."

Noch während Mórtola das auf dem Kreuzfahrtschiff erzählt, verschwindet Floreana, die mysteriöse Insel am Ende der Welt, ganz allmählich am Horizont. (Elian Ehrenreich, Rondo, DER STANDARD, 20.3.2015)