Berlin - In seiner Heimat im südlichen Afrika gilt Phyllanthus engleri schon lange als Heilpflanze. Der früher zu den Wolfsmilchgewächsen zählende Strauch oder kleine Baum wächst vor allem in den trockenen Savannengebieten in Tansania, Sambia, Malawi, Zimbabwe, Mosambik und Südafrika. In Tansania dienen die Wurzeln der Pflanze als Mittel gegen Epilepsie, das Kauen der Blätter und Früchte soll gegen Husten und Bauchschmerzen helfen. Ein Sud aus Wurzeln soll sogar gegen Bilharziose und Gonorrhoe wirksam sein. Allerdings enthält die Pflanze auch starke Giftstoffe, die zu tödlichen Vergiftungen führen können.

Amerikanische Wissenschaftler haben 2009 mehr als 30 Substanzen aus Phyllanthus engleri gewonnen und ihre Wirksamkeit auf Krebszellen analysiert. Demnach ist eine Variante von Englerin-A aus der Rinde des Baumes besonders wirksam gegen Nierenkrebszellen und einige andere Krebsformen.

Mathias Christmann von Freien Universität in Berlin ist es gelungen, diese komplexe Verbindung synthetisch herzustellen. Dafür diente ein Inhaltsstoff des Öls der Katzenminze (Nepeta cataria) als Ausgangsstoff: das sogenannte Nepetalacton - eine Substanz, die bei Katzen rauschhafte Erregungszustände auslöst. Der große Vorteil ist, dass das Nepetalacton ein nachwachsender Rohstoff aus einer Pflanze darstellt, der leichter verfügbar als Phyllantus engleri ist, wodurch sich größere Mengen produzieren lassen.

Krebszellen sterben innerhalb von Minuten ab

Wie Englerin-A die Krebszellen tötet, war bislang unerforscht. Bis vor kurzem galt eine Variante des Enzyms Proteinkinase C als vermeintliches Zielprotein von Englerin-A. Wissenschaftler der Max-Planck-Gesellschaft haben nun festgestellt, dass Zellen, die besonders gut auf Englerin-A ansprechen, diese Enzymvariante gar nicht besitzen. Die Forscher konzentrierten sich deshalb auf eine Familie von Kalziumkanälen in der Zellmembran von Nierenzellen, die sogenannten TRPCs (transient receptor potential channels).

Verschiedene Nierenkrebszellen bilden unterschiedliche Mengen dieser Kanäle. Die Messungen ergaben, dass eine Zugabe von Englerin-A die Kalziumkonzentration innerhalb der Zellen so stark steigen lässt, dass diese innerhalb weniger Minuten absterben. "Wir haben Krebszellen untersucht, die viel TRPC4 produzieren. Diese Zellen reagieren besonders empfindlich auf Englerin-A. In Zellen, die kein TRPC4 bilden beziehungsweise normale TRPC4-Mengen aufweisen, steigt der Kalziumspiegel nicht so stark an. Diese Zellen sterben daher nicht", erklärt Slava Ziegler vom Max-Planck-Institut für molekulare Physiologie. Die Forscher wissen jedoch noch nicht, ob die Überproduktion der TRPCs der alleinige Grund für das Absterben der Krebszellen ist.

Englerin-A wirkt wahrscheinlich spezifisch auf Krebszellen in der Niere. "Diese Eigenschaft ist ein großer Vorteil gegenüber anderen Krebsmedikamenten, denn so ließen sich Nebenwirkungen auf gesunde Zellen möglicherweise vermeiden", sagt Herbert Waldmann, der am Dortmunder Max-Planck-Institut unter anderem die Verwendung von Naturstoffen für die Wirkstoffentwicklung erforscht.

Die Forscher wollen nun in Kooperation mit dem Lead Discovery Center in Dortmund in den nächsten Jahren untersuchen, ob Englerin-A als Krebsmedikament geeignet ist. (red, derStandard.at, 17.3.2015)