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STANDARD: Sie sind seit drei Monaten ORF-Korrespondent in Peking – und schon berichten einige chinesische Zeitungen mit Bild von Ihnen. Sie sollen sich bei der großen Pressekonferenz des chinesischen Premiers Li Keqiang das Mikrofon außer Protokoll geschnappt haben – und ihm eine nicht vorher approbierte Frage gestellt haben.

Löw: Die Pressekonferenzen des chinesischen Premiers sind eine wirklich große Sache – sie werden von Anfang bis zum Ende im Fernsehen übertragen, das würde sich wohl mancher europäische Regierungschef auch wünschen. Die Fragen und Antworten werden in den Zeitungen praktisch komplett abgedruckt. Aber: Wer eine Frage stellen will, muss sie vorher beim Außenministerium ankündigen.

STANDARD: Und Sie haben den Dienstweg nicht eingehalten?

Löw: Doch. Es gibt unter den Korrespondenten immer wieder Diskussionen, ob dieser Ablauf nicht unseren journalistischen Traditionen widerspricht, ob man das nicht boykottieren sollte. Aber in Asien, nicht nur in China, ist das etwas anders. Aber ich habe die Frage zur Ukraine, die mich interessiert hat, dem Außenministerium mitgeteilt. Man hat mich zurückgerufen und mir mitgeteilt, dass man das gar nicht gut findet, die Frage würde sich doch eher an den Außenminister richten und nicht den Premier. Ich solle doch eine andere Frage stellen.

STANDARD: Haben Sie sich überreden lassen?

Löw: Nein, eine andere Frage wollte ich nicht stellen. Andere Kollegen haben sich dann mit dem Ministerium auf eine Frage geeinigt.

STANDARD: Und wie kamen Sie doch dazu, sie dem Premier zu stellen?

Löw: Ich saß relativ weit hinten, neben meinem Kollegen von der spanischen Nachrichtenagentur Efe, ich hörte nur die Aufforderung zur Frage und ein Wort mit "F".

STANDARD: Das Sie für "ORF" gehalten haben.

Löw: Und im selben Moment kommt einer der Beamten mit dem Mikrofon in meine Richtung. Ich war positiv überrascht, hab mir gedacht, man hat es sich anders überlegt, vielleicht ist es doch flexibler und freier, als wir dachten – und stellte meine Frage zur Ukraine. Das hat wiederum das Podium überrascht – gemeint war nämlich der Kollege von der Efe neben mir. Der hat das aber übrigens ebenso wenig mitbekommen wie ich.

STANDARD: Und haben Sie eine passende Antwort bekommen?

Löw: Ja. Ich wollte die Haltung Chinas zur anhaltenden Präsenz russischer Truppen in der Ukraine und zur Invasion der Krim hören. Gehört die Krim nun aus chinesischer Sicht zu Russland oder zur Ukraine? Die Antwort klang nicht so perfekt vorbereitet wie die übrigen, was einige Kollegen fragen ließ, ob ich die Frage nicht einreichen musste.

STANDARD: Nämlich?

Löw: Wir sind für die territoriale Souveränität der Ukraine, das ist alles sehr kompliziert, und wir sind für Dialog. Daraus höre ich einen Unterschied zur russischen Position: Putin möchte sicher keinen Dialog über die Krim. Staatliche Souveränität, Unverletzbarkeit der Grenzen ist ein totales Mantra der chinesischen Außenpolitik.

STANDARD: Gab es Reaktionen der Behörden auf Ihr ungewohnt spontanes Zugreifen und Fragen?

Löw: Bis jetzt nicht.

STANDARD: Aber der Mikrofonträgerbeamte hat nun vermutlich einen neuen Job.

Löw: Es gab nach dem Vorfall sicher Krisenmanagement und Diskussionen, wie das passieren konnte. Dabei ist es eigentlich so einfach: Wenn mir jemand bei einer Pressekonferenz ein Mikrofon reicht, nehme ich es und stelle eine Frage.

STANDARD: Sie sind jetzt seit drei Monaten Korrespondent in China. Wie sind denn Ihre ersten Erfahrungen und Eindrücke – insbesondere mit den Bedingungen journalistischer Arbeit?

Löw: In den drei Monaten hier bin ich nicht mit irgendwelchen Repressionen konfrontiert gewesen. Aber im Alltag kann es schon extrem nerven, wenn man den halben Tag damit verbringt, die Internetzensur auszutricksen. Es ist ein unglaublich dynamisches Land. Man merkt die Power in diesem Land. Es gibt auch eine gewisse Vielfalt. Aber es gibt ein unglaubliches Bemühen der Zentralmacht, zu kontrollieren. Dafür hat die Zentralmacht viel mehr Möglichkeiten, als wir je gedacht haben. Wir dachten, das Internet wird die Freiheit bringen. Aber in diesem riesigen Land mit seinen 1,3 Milliarden Menschen sind Hunderttausende damit beschäftigt, im Web Informationen und Diskussionen zu zensieren, bestimmte Wörter zu streichen, zu verbieten. Wir Journalisten sind ständig damit beschäftig, VPN-Kanäle nach draußen zu finden, die gerade funktionieren. Die APA ist nicht zugänglich, die "New York Times" ist nicht zugänglich, Google geht nicht in China. Google hat sich geweigert, sich den Vorschriften der chinesischen Internetzensur zu unterwerfen.

STANDARD: Aber man findet Wege zur APA oder zu Google.

Löw: Es ist ein Katz-und-Maus-Spiel. Einen Tag geht dieser VPN-Kanal, den anderen jener. Das ist ein ganz anderes Arbeiten als in einem Land ohne diese autoritären Strukturen. Aber: Es ist hochspannend hier. (Harald Fidler, derStandard.at, 17.3.2015)