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Rund sechs Millionen Wahlberechtigte schreiten am Dienstag an die Urnen. Viele sind ratlos, Sachthemen kamen im Wahlkampf nur wenige vor.

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Yitzhak Herzog (links) könnte nach seiner furiosen Aufholjagd ohne Partner dastehen, Benjamin Netanjahu (rechts im Hintergrund) gestand Fehler im Wahlkampf schon vor dem Votum ein.

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War es ein "Wahlkampf über nichts" – wie jene meinen, die jetzt der Koalitionsmisere entgegenstarren und nicht wissen, was ein neuer Premier wirklich anders machen würde? Oder geht es am heutigen Wahltag doch um alles, weil die Parole "Nur nicht Bibi" greifen könnte – der Herzenswunsch jener Israelis, die Benjamin Netanjahu nach sechs Jahren satthaben?

Als "Bibi" im Dezember Neuwahlen herbeiführte, war er noch ganz sicher, mit ausgetauschten Koalitionspartnern weitermachen zu können. Jetzt muss der 65-Jährige damit rechnen, selbst ausgetauscht zu werden. "Diese Gefahr besteht wirklich", gab der sonst vor Selbstbewusstsein Strotzende zuletzt düster zu; wohl auch ein taktisches Manöver, um das Stammpublikum seines konservativen Likud aufzuscheuchen.

Optimismus strahlte indes Yitzhak Herzog aus: "Wir haben hier eine Gelegenheit für eine Wende und eine große Veränderung", sagt der Chef der Arbeiterpartei, der seine Kampagne mit großem Rückstand begonnen und sich nach vorn gekämpft hat.

"Araber" vielleicht Dritte

25 Listen bewerben sich um die 120 Knesset-Sitze, darunter exotische Gruppen wie "Das Grüne Blatt", das Marijuanagenuss legalisieren will, oder eine Mieterbewegung. Nicht weniger als elf dürften tatsächlich ins Parlament kommen – und es wären sogar noch mehr, wäre die Eintrittshürde nicht auf 3,25 (statt bisher zwei) Prozent angehoben worden.

Das hat vier "arabische Parteien" (von denen eine, die kommunistische Chadasch, auch jüdische Kandidaten stellt) bewogen, sich zu einer gemeinsamen Liste zusammenzuschließen. Mit erstmals vereinten Kräften könnten sie laut Umfragen vielleicht sogar zur drittstärksten Fraktion im neuen Parlament werden.

Platz eins ist dem "Zionistischen Lager", Herzogs linksliberalem Bündnis, fast sicher – doch eine entscheidende Frage ist, ob der zuletzt stabile Vorsprung von vier Mandaten auf den Likud auch hält oder gar ausgebaut werden kann. Wenn das Zionistische Lager mit Abstand die größte Partei wird, so Herzogs Hoffnung und Netanjahus Befürchtung, würde Staatspräsident Reuven Rivlin aller Koalitions-Arithmetik zum Trotz vielleicht doch Herzog zuerst mit der Regierungsbildung beauftragen.

Wohl noch mehr als gegen Netanjahu hatte Herzog (54) gegen sein Image zu kämpfen. Mit seiner zarten Gestalt und hohen Stimme scheint "Bouji" nicht der Anführer zu sein, der Israels Feinde abschreckt. "Unser Premier muss der Stärkste sein, damit wir Sicherheit haben", sagt Aharon Schaoschwili, ein Angestellter, "Wenn ein Schuster keine Erfahrung hat, kann er keine ordentlichen Schuhe machen." "Das Aussehen spielt keine Rolle", meint hingegen Yitzhak Redman, ein Pensionist, "Bibi ist überall gescheitert, es ist Zeit für einen Wechsel."

Ein dominantes Sachthema gab es im Wahlkampf nicht. Erst in letzter Minute machte Netanjahu am Montag den Friedensprozess zum Thema, als er in einem Interview der Aussage zustimmte, es werde unter seiner Führung keinen Palästinenserstaat geben; Herzog betonte zuvor mehrfach, dass "die Siedlungsblöcke sehr wichtig für Israels Sicherheit sind".

"Nicht Linken überlassen"

Wegen Netanjahus umstrittener US-Rede wurde zuletzt wieder darüber debattiert, ob und wie eine iranische Atombombe verhindert werden kann – eine Frage, anhand derer Netanjahu darzulegen versuchte, dass man Israel auf keinen Fall "der Linken" überlassen darf: "Auch gegenüber dem Präsidenten der USA fürchte ich mich nicht, klar zu sagen, was gesagt werden muss", ruft Netanjahu bei einer Versammlung in einem Hotel in Netania und löst bei der sonst eher schwunglosen Anhängerschar "Bibi, Bibi"-Rufe aus. Dieser hat teils eingestanden, dass die Kampagne schlecht war. Lebenshaltungskosten und Wohnungskrise wurden kaum angesprochen; alles war auf Netanjahus Person fokussiert, obwohl die Marke "Bibi" nicht mehr gut zieht. Andrerseits ist unklar, wie Herzog eine Koalition schaffen soll. "Das wird eine Wahl ohne Entscheidung", sagt ein TV-Kommentator, "das ist eine schlechte Nachricht für die Regierbarkeit und Stabilität." (Ben Segenreich aus Tel Aviv, DER STANDARD, 17.3.2015)