Die Vorstellung, dass in einer einzigen Woche gleich mehrere wichtige Weichen für den Nahen Osten gestellt werden, ist einladend - aber auch naiv: Zurzeit scheitert man ja sogar daran, die Dynamiken in der Region auch nur annähernd klar zu beschreiben. Was heute für wichtig gehalten wird, stellt sich morgen als trivial heraus und umgekehrt. Es ist dennoch ein schicksalhaft anmutender Zufall, dass in jener Woche, in der Israel eine neue Regierung wählt - und eine Abwahl von Benjamin Netanjahu zumindest möglich erscheint -, auch die Vorentscheidung über ein Atomabkommen mit dem Iran fallen könnte.

Es war eher überraschend zu beobachten, dass es dem israelischen Premier nicht gelungen ist, die zwei Themen nachhaltig zu verknüpfen. Seine umstrittene Rede vor dem US-Kongress hat ihm in Israel nicht viel gebracht. Für viele Israelis ist wohl die Angst, dass die israelisch-amerikanischen Beziehungen in den USA zu einer parteipolitischen Frage werden, mindestens ebenso groß wie jene vor einem Atomdeal mit dem Iran. Barack Obama mag extrem unbeliebt sein - aber er ist immer noch der amerikanische Präsident.

Dazu kommt der Effekt, dass die größte Drohung - jene mit der iranischen Atombombe - sich abnützt, wenn sie jahrelang immer wieder nachdatiert werden muss. Und gerade die volatilen Zustände in der Region stellen ohnehin alle Prognosen infrage: Der US-Satiriker Jon Stewart hat ins Schwarze getroffen, als er in seiner die Rede Netanjahus persiflierenden Daily Show dessen Werben für die US-Invasion im Irak im Jahr 2003 einspielte. Demnach müsste das iranische Regime längst Geschichte und der totale Friede im Nahen Osten ausgebrochen sein. Im Gegensatz dazu wird heute - auch wenn das wieder zu kurz gegriffen ist - die US-Intervention im Irak als die Geburtsstunde fast aller derzeitigen Übel angesehen.

Insofern tun sich die Warner vor einem Abkommen, das dem Iran ein limitiertes und überwachtes Urananreicherungsprogramm lassen würde, schwer. Alles, was sie ankündigen - etwa einen neuen Atomboom im Nahen Osten -, kann passieren. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass es passiert, ist ohne Atomdeal mit dem Iran mindestens so groß oder noch größer.

Das Bild vom Iran als größter Bedrohung für den Nahen Osten und darüber hinaus hat angesichts der Schrecken des "Islamischen Staats" (IS) an Kraft eingebüßt. Dass jedoch US-Außenminister John Kerry in einem Interview am Wochenende halboffiziell das - vom Iran gestützte - Assad-Regime als Teil der Lösung für Syrien rehabilitierte, rief einen Aufschrei auf der arabischen Seite des Persischen Golfs hervor. Dort fühlt man sich zwischen Hammer und Amboss, wenn die Bekämpfung von IS damit verbunden sein soll, dass der Iran seinen Willen in der Region durchsetzt.

Genau genommen hat Kerry nichts anderes getan, als die Vereinbarung von Genf I von 2012 auszugraben, die eine Übergangslösung für Syrien vorsieht, bei der dem Regime eine Rolle zukommt: Ob damit Assad gemeint ist, war sofort, nachdem sich Washington und Moskau auf diese Formel geeinigt hatten, schon wieder umstritten. Die Araber und die USA stehen vor den Trümmern nicht nur ihrer Syrien-Politik. Jetzt ist die Frage, ob man sich hinter diesen Trümmern verschanzt - oder neue Wege probiert. Die USA haben sich für Letzteres entschieden, Ausgang völlig ungewiss. (Gudrun Harrer, DER STANDARD, 17.3.2015)