Es scheint, als sei so manchen Beobachtern im Land die vielleicht wichtigste Eigenschaft im politischen Alltagsbetrieb abhandengekommen: die Fähigkeit zu staunen. Die rot-schwarze Regierung hat nach monatelangen Verhandlungen endlich ihre Pläne für eine Steuerreform präsentiert. Klar ist das Konzept von Kanzler Werner Faymann und ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner alles andere als fehlerlos. Manche Aspekte der Gegenfinanzierung sind zu vage. Eine Erbschaftssteuer fehlt, Anreize für mehr Umweltschutz sowieso. Aber alles in allem haben SPÖ und ÖVP ein Ziel erreicht: Die Steuerbelastung für die Mehrzahl der arbeitenden Menschen in diesem Land wird im kommenden Jahr spürbar sinken.

Die zahllosen Kritiker der Reform erwähnen diese Tatsache aber, wenn überhaupt, nur in Nebensätzen. Sie konzentrieren sich darauf, was alles SPÖ und ÖVP verabsäumt haben und zu welchem PR-Desaster das Vorhaben angeblich geworden ist. Dabei bringt die Reform im Schnitt jedem vollzeitbeschäftigten Mann im Jahr eine Ersparnis von 1300 Euro. Bei Frauen sind es ob des niedrigeren Lohnniveaus etwa 1000 Euro. Das mag aus Sicht von Topverdienern wenig sein. Richtig ist auch, dass der Staat "nur" zurückgibt, was er in den vergangenen Jahren in Form von schleichenden Steuererhöhungen weggefressen hat.

Aber für alle Arbeitnehmer, die sich abstrampeln, damit sie Miete, Stromrechnungen, Kosten für Kinderbetreuung, Auto und Urlaub unter einen Hut bringen können, wird die geplante Entlastung das Leben eine Spur einfacher machen. Dabei ist es schon erstaunlich, dass sich die Regierung trotz aller ideologischen Differenzen überhaupt auf eine Reform einigen konnte. Denn es gibt ja nicht nur Gewinner. Unternehmen werden Absetzbeträge verlieren, die Mehrwertsteuer steigt in ausgewählten Bereichen, Spitzenverdiener müssen künftig mehr zahlen. Das Bankgeheimnis wird aufgeweicht, was die Kreditinstitute im Land - nicht gerade die unwichtigsten Player - erzürnt.

Vergessen wird aber noch ein Aspekt. Eine zentrale Frage bei jedem politischen Reformvorhaben muss sein, ob die Politik die richtigen Signale setzt. Diesmal ist die Symbolik eher stimmig. Ein großer Teil der Entlastung (fast zwei Milliarden Euro) soll durch den verstärkten Kampf gegen Steuerbetrug finanziert werden - Stichwörter Registrierkassen und Bankgeheimnis. Wenn dies gelingt, wäre das eine wichtige Botschaft an die Steuermoral der Menschen. Sie lautet: Seht her, wie viel mehr das Land verteilen kann, wenn alle ehrlich Abgaben bezahlen.

Zugleich bedeutet die Entlastung der Einkommen, dass sich der Fleiß der Arbeitnehmer wieder etwas mehr auszahlt. Davon könnten auch die Unternehmer im Land profitieren, die nichts so dringend brauchen wie tüchtige und kreative Arbeitnehmer. Ob die Steuerreform die Wirtschaft beleben kann, wird sich zeigen. In dem insgesamt etwas positiveren Umfeld - niedriger Ölpreis, schwacher Euro - besteht aber immerhin die Chance dafür. (András Szigetvari, DER STANDARD, 17.3.2015)