"Wir sind ja alle Proeuropäer", sagte Alexis Tsipras, als er Freitag zu Gesprächen in Brüssel eintraf. Gut, dass er sich und andere daran erinnert, denn Europa ist die Kernfrage. Es handle sich nicht "um ein griechisches Problem, sondern um ein europäisches Problem", sagte Tsipras dann noch auf die typisch provozierende Art. Aber auch das stimmt im Grunde. Griechenland gehört zur EU, und es gehört, wenn es irgend geht, zum Euro. Ein Grexit oder ein Grexident wäre äußerst riskant, wirtschaftlich wie (geo-)politisch. Eine Währungsunion ist nicht etwas, wo man aus- und einsteigt, wie beim Hop-on-hop-off-Bus. Die frechen Drohungen, die griechische Rechts- und Links-Politiker im Zusammenhang mit dem Flüchtlingsstrom ausstoßen, haben einen realen Kern. Griechenland ist nicht weit vom Reich der IS.

Es hat daher keinen Sinn und ist kurzsichtig, wenn über das griechische Verhalten empörte Politiker und Bürger verlangen, die Griechen sich selbst zu überlassen. Es ist aber ebenso kontraproduktiv und noch dazu infantil, zu behaupten, irgendwer würde die neue Linksregierung in Athen einfach "hassen".

Tsipras, Varoufakis & Co nerven, weil sie das erstens bewusst tun und weil zweitens genug Empirie vorliegt, dass konsequente marxistische oder auch nur linkspopulistische Politik unweigerlich in die Verarmung führt - und zu Repression. Das ist historisch erwiesen und zeigt sich jetzt gerade wieder in Venezuela. Aber Hass?

Griechenland hat diese Regierung gewählt, und Europa muss versuchen, das Beste daraus zu machen. Das wird schwer, denn besonders Finanzminister Varoufakis zeigt mehr intellektuelle Verspieltheit als Lösungskapazität für unmittelbar anstehende, praktische Probleme. Das scheint auch Tsipras zu spüren.

Gerechtigkeit für Griechenland verlangt, dass man sich zunächst über die Ausgangslage klar wird. Um den Zusammenbruch des Staates zu verhindern und die Verarmung größerer Bevölkerungsteile zu verhindern, muss das Ausland weitere Hilfsgelder lockermachen. Griechenland ist nicht unreformierbar. Die Türkei war ein "failing state", bis die fleißige, verantwortungsvolle Mittelklasse statt bornierter Militärs und/oder korrupter Eliten ans Ruder kam. Dass das jetzt ins Islamisch-Autoritäre umschlägt, ist allerdings tragisch. Polen galt als Hort von Schlendrian und Korruption. Heute ist es ein prosperierendes EU-Mitglied.

Griechenland war zu lange Beute einer verotteten politischen Klasse, viele Leute der Mittelschicht verhalten sich dementsprechend, wären aber ansprechbar für echte Reformpolitik. Syriza weckt da wenig Hoffnungen.

Aber Europa muss mit dieser Regierung zumindest eine Zeit lang zusammenarbeiten und dabei (mit mehr Geschick als bisher) versuchen, Methoden des "good government" zum Durchbruch zu verhelfen (ein erster Schritt wäre ein Koalitionswechsel hin zur bürgerlichen "To Potami"). Gerechtigkeit für Griechenland bedeutet, ihm Zeit zu geben, Verantwortlichkeit zu entwickeln. (Hans Rauscher, DER STANDARD, 14.3.2015)