Ein "Einschnitt" in Alfred Hrdlickas "Mahnmal gegen Krieg und Faschismus": "The Missing Image" von Ruth Beckermann.

Foto: Robert Newald

Wien - Das Skulpturenensemble von Alfred Hrdlicka auf dem Albertinaplatz hat sich soeben um zwei dezente, aber wirkungsvolle Elemente erweitert. Zwei flache Glaskästen, die sich gewissermaßen an die Steinsockel hinter ihnen anschmiegen und in deren Innerem jeweils auf einem LED-Screen beklemmende historische Filmaufnahmen laufen:

Ein junger Mann in dunklem Anzug kniet da auf allen vieren auf dem Trottoir, seine Hände umschließen offensichtlich eine Bürste, mit der er den Asphalt bearbeitet. Später noch ein zweiter, ebenfalls auf dem Boden, die Hemdsärmel aufgekrempelt. Hinter ihnen stehen Leute, eine Menge Schaulustiger, aus der Gesichter in Großaufnahme herausgeholt werden: Männer und Frauen, die in die Kamera lachen. Einer trägt eine Hakenkreuzbinde am Arm.

The Missing Image. Wien 1938 heißt Ruth Beckermanns Videoinstallation (zu der Olga Neuwirth die Musik beigesteuert hat). Am Donnerstagabend wurde sie in einer ruhigen, kleinen Zeremonie in Betrieb genommen. Als am 24. November 1988 Alfred Hrdlickas Mahnmal gegen Krieg und Faschismus enthüllt wurde, war diesem Akt eine für österreichische Verhältnisse nicht untypische, Jahre währende Vorgeschichte vorausgegangen. Die Kritik galt unterschiedlichsten Aspekten - der Gegenstand des Mahnmals, die Person des Bildhauers, der Standort und die politische Vorgangsweise standen im Zentrum hitziger Debatten. Auch die geduckte kleine Bronzeskulptur, die Hrdlicka zwischen den hoch aufragenden Steinblöcken platzierte, war nicht unumstritten.

Festschreibung als "Opfer"

Dieser "straßenwaschende Jude" sollte an die Judenverfolgung erinnern - genauer an eine Wiener Spielart des Antisemitismus, die sogenannten "Reibpartien", bei denen jüdische Mitbürger nach dem "Anschluss" 1938 gezwungen wurden, Parolen des Ständestaates von Gehsteigen abzuwaschen. Diese Figur brachte, wie es Ruth Beckermann am Donnerstagabend vor der Enthüllung ihrer Arbeit ausdrückte, zwar "Verwirrung in die Opferlegende". Sie machte aber auch "den ewigen Juden zum ewigen Opfer einer anonymen Gewalt". Viele ihrer Freunde hätten den Platz seither gemieden.

Sie selbst habe einmal kurz erwogen, die Skulptur bei einer "aktionistischen Performance zu entführen". Mit The Missing Image hat sie jetzt aber eine andere Form der Intervention gefunden: eben jene von ihr bearbeiteten Filmaufnahmen, die der am Boden kauernden Figur nicht nur zwei Leidensgenossen gegenüberstellen, sondern vor allem die umstehende, schaulustige Menge von Täterinnen und Tätern ergänzen.

Die schwarz-weißen Bilder, das bisher einzige bekannte Filmdokument von einer solchen Aktion, hat Beckermann zu einer rund eineinhalbminütigen Loopsequenz verarbeitet. Sie entstammen einem knapp siebenminütigen Filmfragment. Dieses wiederum war Teil einer umfangreichen Sammlung von Amateuraufnahmen, mit deren wissenschaftlicher Aufarbeitung das Österreichische Filmmuseum vor rund zehn Jahren begonnen hat, wie dessen Direktor Alexander Horwath in seiner Eröffnungsrede ausführte.

Von nämlichem Fragment ist bekannt, dass es in Wien in den Tagen und Wochen nach dem "Anschluss" aufgenommen wurde. 2008 wurde es im Rahmen der Reihe "Filmdokumente zur Zeitgeschichte" öffentlich gezeigt. Beckermann erkannte in den letzten sieben Sekunden den "fehlenden Gegenschuss", das Missing Image. Diesem Visavis muss man sich nun auch als Besucherin des Albertinaplatzes stellen. (Isabella Reicher, DER STANDARD, 14.3.2015)